Alicia - Gefaehrtin der Nacht
und wenn der Mond darauf schien, dann schimmerte es bläulich. Bei Tageslicht waren meine Augen nicht mehr blaugrün, sondern von einem unwirklich hellen, beinahe durchscheinenden Grau, das sich mit Anbruch der Nacht in ein schwarzes Funkeln verwandelte.
Das Blut der Menschen sättigte mich, aber das der Salizaren war es, das mir den Schwung und die Kraft eines Raubtieres verlieh. Aus dem Stand sprang ich nun mühelos auch über größere Distanz jede Beute an und brachte sie zu Fall. Ich bewegte mich lautlos durch die Nacht und kannte keine Furcht mehr. Meine Sinne für Gerüche und Geräusche waren geschärft, wie ich es als Mensch nicht gekannt hatte.
Inzwischen verstand ich auch, wie Laurean zu seinem makellosen Körper gekommen war. In der Menschenwelt hätte man für einen so muskulösen Leib strenge Diät halten und unaufhörlich trainieren müssen. Laurean jedoch tat nichts dergleichen. Er trank das Blut der schönsten Salizaren, und da ich seine Gefährtin war, stand mir das gleiche Recht zu. Mein Körper war sehnig geworden wie der seine, meine Brüste dagegen prall und rund. Ich fühlte mich unbesiegbar und genoss das Dasein in meinem neuen Körper. Im Zusammenleben gab es keine Unterscheidung zwischen weiblichen oder männlichen Salizaren, weder für den Blutdurst noch für die Paarung. Das Geschlecht hatte, außer für die Fortpflanzung, die innerhalb des Stammes streng geregelt war, keine Bedeutung. Ich verlor schon längst keine Gedanken mehr an Eifersucht oder Reue und lebte meine Triebe aus wie Laurean und die anderen Salizaren. Diese menschlichen Regungen waren in dem Maße verblasst, wie sich mein Blut mit dem meines Stammes vermischt hatte. Der Unterschied zu ihnen bestand nur darin, dass ich wusste, dass es diese Gefühle einmal für mich gegeben hatte, während sie ihnen vollkommen fremd waren. Die Blutdurstigen paarten sich unbekümmert und freudig untereinander und es galt weder als gut noch als schlecht, das zu tun, es war einfach das, was wir taten, insbesondere, wenn wir frisches Blut getrunken hatten, dabei war die gegenseitige Bereitschaft die einzige Voraussetzung.
Mit den Menschen war es beinahe noch einfacher, wenn auch bei Weitem nicht so befriedigend. Ohne zu wissen, was wir waren und aus welchem Grunde wir uns ihnen in Wirklichkeit näherten, konnten sie uns einfach nicht widerstehen. Wir bewegten uns geschmeidig und verströmten einen kraftvollen, unwiderstehlichen Geruch, und wenn sie in unsere Augen sahen, die wie schwarze Diamanten funkelten, hielten die Menschen in ihrer Einfalt die Glut unserer Blicke für Liebe oder Leidenschaft. Wir Salizaren boten ihnen unsere Körper an, weil dies der unauffälligste Weg war, die Beute an einsame Orte zu locken. Die Bezahlung, die wir dafür zum Schein annahmen, war unwichtig. Für einen Salizaren zählte nur das nahrhafte Blut, während die Menschen zum Opfer ihrer heimlichen Gelüste wurden, anstatt diese einfach frei auszuleben. Ich vergaß, wie gehemmt ich selbst gewesen war und es erschien mir nur noch irrsinnig, dass gesellschaftliche Tabus erst gemeinsam errichtet wurden, um dann von so vielen gebrochen zu werden. Sobald die Menschen in den Zustand ihrer erbärmlichen Lust verfielen, begaben sie sich leichtfertig und bereitwillig an einsame Orte, als wäre die Heimlichkeit und das Verbotene Teil des Vergnügens. Vielleicht war es ja so.
Ich hingegen hatte gelernt, meinen Gelüsten freien Lauf zu lassen, da es schlicht keinen Grund mehr gab, dies nicht zu tun. Niemand verurteilte mich, denn ich folgte nur meiner Natur. Dabei fühlte ich mich schön und stark und frei.
Desan war ich nicht mehr von Angesicht zu Angesicht begegnet, nur manchmal, wenn ich mich im Schutz der Dunkelheit über eine Beute warf, spürte ich seine Nähe. Nun, da sein Blut sich mit meinem vermischt hatte, besaß ich eine Art zusätzlichen Sinn für seine Anwesenheit. Das war ganz natürlich, denn so ging es mir mit allen Brüdern und Schwestern, von deren Blut ich getrunken hatte. Doch warum ließ Desan nicht von mir ab? Manchmal kam es mir vor, als zöge er in Kreisen um mich herum, mal näher, mal ferner. Ohne dass ich ihn sah, verständigten wir uns durch fauchende und knurrende Laute, die nichts anderes verhießen, als dass ein Kampf zwischen uns noch bevorstand.
Eines Tages erlebte ich mein erstes Fest des Blutes, auch Sânge Prospăt genannt, bei dem lebende Beute in die Katakomben unterhalb von Laureans Villa gebracht wurde. Die Gewölbe hatte
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