Alicia II
der Mitte deiner Aura. Warum sagst du nicht, ich solle damit aufhören, und kommst her und nimmst mich in die Arme?«
Ich kam beiden Forderungen nach. Wir saßen einige Zeit zusammen auf der Couch, mein Arm lag um ihre Schultern, und das Schweigen, das zwischen uns herrschte, war nicht entnervend.
»Weißt du was?« fragte Alicia schließlich.
»Was denn?«
»Ich fühle mich als Frau. Ich meine hier, so. Ich habe immer geglaubt, ich würde es hassen, mich als Frau zu fühlen. Vielleicht ist doch etwas dran an den fundamentalen Ideen. An diesem Mann-Weib-Zeug. Ich würde gern ins 18. Jahrhundert zurückwandern, Reifröcke tragen, Gartenwege entlanglaufen und …«
»Ich glaube, Reifröcke trug man im 19. Jahrhundert.«
»Verdirb es mir nicht. Ich rede von der romantischen Liebe. Dafür wären wir eine großartige Kombination. Wir brauchten uns niemals Sorgen über deine Fähigkeiten oder deinen Mangel daran zu machen. Entschuldige. Ich vergesse dauernd, daß du darin empfindlich bist.«
»Bin ich gar nicht.«
»Richtig, das ist entschieden ein Problem. Ich habe dir gesagt, du sollst mich zum Schweigen bringen. Küß mich, das kannst du doch.«
»Das scheint eine harmlose Rache zu sein.«
Nach dem Kuß meinte Alicia: »Ich habe die Augen geschlossen und dich in Spitzenärmeln und hochgeschlagenem Kragen gesehen und mich im Reifrock.«
»Es gibt Einrichtungen, wo man Geschichte spielen kann.«
»Das ist nicht dasselbe. Sie sind für die echten Eskapisten. Ich kann nur eine kurzfristige Flucht akzeptieren. Flüchtige Träume. Ohne die harte Realität könnte ich nicht leben.«
»Tatsächlich?«
»Je härter, desto besser.«
»Und darum liebst du mich.«
Sie pfiff.
»Das ging mitten durchs Herz. Vielleicht liebe ich dich, weil du so sehr wie ich bist. Wenn ich dich nur erwürgen und in ein Fensterbild von den Alpen werfen könnte!«
Wieder herrschte Schweigen. Wieder fing Alicia an, Falten in ihr Kleid zu legen.
»Ich warte darauf, daß du mir spezifische Fragen stellst«, erklärte sie plötzlich.
»Über was?«
Sie zog sich ein bißchen von mir zurück. Sie war immer noch in meinen Armen, aber es gab mehr Punkte, die sich nicht mehr berührten.
»Vielleicht weißt du die Fragen nicht. Vielleicht denkst du sie nicht.«
»Offenbar nicht.«
»Dann sollten wir es dabei lassen.«
»Gut.«
»Unglücklicherweise können wir es nicht. Ich werde die Fragen hören, ob du sie mir stellst oder nicht. Ich sollte dich in dem Katechismus unterweisen.«
»Warum entspannst du dich nicht einfach? Laß die Pille wirken, ruh dich aus.«
»Das ist es ja gerade. Ich kann mich nicht entspannen. Immerzu höre ich, daß du mir Vorwürfe machst – es ist ein Sprung in die Zukunft dieser Unterhaltung, aber ich kann es hören. Ich muß diesen Punkt in der Zukunft erreichen, muß ihn hinter mich bringen.«
»Warum, um alles in der Welt, sollte ich dir Vorwürfe machen?«
»Das ist nicht die richtige erste Frage. Als erstes mußt du mich fragen …«
»Hör auf, Alicia, das ist …«
»Halt meine Hand, bitte. Bitte!«
Das jetzt folgende Schweigen war im Gegensatz zu den beiden vorigen Malen weder entnervend noch beruhigend. Es schien eine eigene Stimme zu haben, die uns unaufhörlich daran erinnerte, daß es das Schweigen sei.
»Wie bin ich so ganz zufällig auf die Straße vor dem L’Etre geraten?« Sie drückte meine Hand, ein Signal. »Los, frag mich das.«
»Nein, ich werde dies Spiel nicht …«
»Okay, frag es nicht. Die Antwort ist: Ich war dorthin geschickt worden. Ich nehme an, sie schickten mich, weil sie Angst vor dir hatten. Ich weiß nicht, warum, es war einfach ein Befehl. Nimm zur Kenntnis, daß ich dir die Antworten gebe, ohne auch nur Fragen zu formulieren.«
Ich versuchte, sie wieder an mich zu ziehen, sie fester in die Arme zu nehmen. Sie zog sich weiter
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