Alicia II
beabsichtigte, und die Maße der vom Hotelschneider anzufertigenden Kleidung spezifizieren.
Kurz gesagt, es war das Höchstmaß an Luxus und Bedienung, das wir heute von einem Hotel der höchsten Sicherheitsstufe erwarten. Ich machte in den ersten Tagen reichlichen Gebrauch von der Knopftafel und probierte verschiedene Arten von Zerstreuungen aus. Sogar Stacy benutzte die Maschine gelegentlich.
Der vielleicht beste, aber auch törichtste Hotel-Service war eine Stadtrundfahrt, bei der der Gast in seinem eigenen Bett blieb. Die Simulation benutzte die vier Wände des Zimmers, so daß Bilder und Geräusche von allen Seiten kamen. Eine Anzeige neben dem Bett erlaubte es dem Gast, die Geschwindigkeit zu erhöhen oder zu senken. Man konnte in normalem Tempo durch die Stadt »fahren« oder nach einem vorher gewählten Programm von Ort zu Ort springen. Ich wählte als erstes die Museumstour und hielt die Bewegung häufig an, um mir bestimmte Gemälde eingehend anzusehen.
Ein anderes Mal ließ ich mir die Altstadt zeigen, Sehenswürdigkeiten wie die rekonstruierte Freiheitsstatue und das wohlerhaltene Chinatown.
Damals wußte ich nicht, daß Chinatown hauptsächlich mit ausgemusterten Orientalen besetzt war, die man trotz des Körpermangels mehr oder weniger offiziell in Frieden ließ.
Erstens einmal wäre es außerordentlich schwierig gewesen, Flüchtlinge in dem dschungelähnlichen Irrgarten von Chinatown aufzuspüren. Zweitens (und das hatte mehr Gewicht) verbot es ein ungeschriebenes und ungesprochenes Gesetz, Kaukasiern einen orientalischen Körper zu geben. Es war einer dieser seltsamen archaischen Stammesriten, die nichts mit dem offiziellen Gesetz zu tun hatten, wie zum Beispiel auch die Übertragung in einen Körper anderen Geschlechts. In den ersten Jahren der Erneuerung hatte es viele bizarre Fälle von Rassismus gegeben, aber Neuanpassungen und Umsiedlungen hatten die meisten dieser Probleme gelöst.
Jedenfalls faszinierte Chinatown mich. Ich nahm dreimal an der Rundfahrt teil und bestellte beim Zimmerservice echtes chinesisches Essen. Oft kam ich mir richtig lächerlich vor, daß mir eine solche Ersatz-Tour Freude machte – und, was das angeht, daß ich überhaupt diese wenigen Tage der Isolierung in meiner Luxus-Zelle genoß.
Mein dritter oder vierter Mußetag wurde durch den Anruf eines Reporters von einer der Tageszeitungen gestört, die fast in die ganze zivilisierte Welt übertragen werden. Er wollte mich interviewen. Ich fragte, warum in aller Welt ein Reporter mit mir zu sprechen wünsche. Er antwortete, mit aller Welt habe es wenig zu tun, wohl aber mit meiner Zeit im Raum, die für seine Leserschaft von Interesse sei. Ich sagte ihm, es sei seine Beerdigung, er solle nur kommen.
Das Interview verlief ungemütlich. Der Reporter war ein großer, reichlich fetter Mann, und ich empfand das Unbehagen des alten Erneuerten beim Betrachten eines mißbrauchten Körpers. So unangenehm mir das Gefühl war, ich konnte es nicht verbannen. Die Fragen des Mannes konzentrierten sich auf meine Erfahrungen im Raumdienst. Ich war sparsam mit Einzelheiten, aber das hinderte ihn nicht daran, mich in seinem Artikel, der ein paar Tage später erschien, als tragischen Helden herauszustellen. Er betonte die Tatsache, daß ich, ein Erneuerter, meine Unsterblichkeit ständig in gefährlichen Situationen aufs Spiel gesetzt hätte, ein Aspekt meiner Abenteuer, über den ich bei der Beantwortung seiner unaufhörlichen Fragen zu diesem Thema absichtlich hinweggegangen war. Er entwickelte außerordentliches
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