Alicia II
zu reparieren, es war eine kleinere Katastrophe. Was tust du? Führst du deine Reserven an Mut ins Treffen, die dich berühmt gemacht haben? Nein, du läufst zu den Sternen davon, kämpfst gegen unheimliche Wesen, zementierst dir ein Image, das überhaupt keinen Bezug auf die Realität hat. Von neuem suchst du eine Lösung für ein Problem zu finden, das im Grunde nur deine Unzufriedenheit mit dem dir zugefallenen Los ist, indem du die Gegebenheiten änderst. Man könnte auch sagen, du änderst den Kontext, um dein Leiden nicht akzeptieren zu müssen, du dichtest dein Leben zu einem kosmischen Melodram um …«
»Ben …«
»Gut, gut, damit bin ich zu weit gegangen. Ich lasse mich fortreißen. Okay, du kommst zurück, triffst Alicia wieder, steigerst deine Liebe zu dramatischen Proportionen, und dann kommst du zu mir und verlangst einen neuen Körper, beziehungsweise die Möglichkeit, einen neuen Körper zu erhalten. Naiv? Das ist beinahe kindisch, Voss.«
»Das mag sein, aber was hast du …«
»Sei ruhig. Okay, nehmen wir einmal an, ich kann dir einen neuen Körper verschaffen. Was willst du mit ihm machen, abgesehen davon, daß du dann deinen Appetit auf deine einzig Geliebte stillen wirst? Wenn sie dich läßt. Denke an ihre Einstellung zum Erneuerungsprozeß, an ihre Ideale.«
»Wieso weißt du so verdammt viel über Alicia, wieso …«
»Ich kenne sie vielleicht etwas besser, als du vermutest, mein Freund. Wie dem auch sei, denk über sie nach. Denk zur Abwechslung über Alicia nach. Wirst du in deinem neuen Körper – den du dir nicht vorher aussuchen kannst, vergiß das nicht! – so wunderbar sein, daß sie dir an den Hals fliegt, dankbar dafür, in ihrem Leben und ihrem Bett einen heilen, unbeschädigten, männlichen, ernsten und romantischen jungen Vossilyev willkommen heißen zu können? Beantworte mir das.«
Seine Stimme klang zorniger, als ich es an ihm gewöhnt war.
Was er sagte, vermischte sich in meinem Geist mit dem, was Alicia im St. Ethel-Camp gesagt hatte, als habe Ben jetzt ihre Bemerkungen über meine psychische und soziale Impotenz für mich klargestellt, indem er mich als naiv bezeichnete. Es konnte nicht wahr sein. Ich war zu intelligent, mir der Folgen zu stark bewußt, zu sehr Herr meiner Gefühle. Plötzlich fiel mir ein, was sich ein naiver Mensch darunter vorstellen würde.
»Vielleicht hast du recht, Ben«, räumte ich ein. »Vielleicht wäre ein neuer Körper der falsche Weg. Aber ich bin verzweifelt.«
»Voss, ich möchte nicht unfreundlich sein. Möglicherweise bist du in deinem glänzenden neuen Körper wirklich so wunderbar, daß du Alicia von neuem eroberst, ich weiß es nicht. Auch sie scheint ein bißchen romantisch veranlagt zu sein. Alles kann passieren – zum Beispiel kann, was du nicht vergessen darfst, die Periode der Dunkelheit sehr lang sein, selbst wenn einer deiner Pläne Erfolg hat. Wenn du mit einem funkelnagelneuen Körper zum Vorschein kommst, mag sich Alicia in eine alte Hexe verwandelt haben. Hast du dir das schon überlegt?«
»Heutzutage wird niemand mehr eine alte Hexe, das weißt du, Ben.«
»Gut, gut, die schöne, aber alte Alicia begrüßt den schönen, aber jungen Voss vor den Toren der Erneuerungskammer. Rote Sonnenuntergänge nehmen für euch ein spezielles Leuchten an und winken mit ihren Fingern zu der Öde draußen hin. Aus dem Boden sprießen durch Zauberkraft Bäume. Die Erneuerungskammer explodiert, weil die wahre Unsterblichkeit entdeckt worden ist, wahrscheinlich von euch beiden. Fortan werden keine Wiederverwertungskörper mehr gebraucht. Ist das romantisch genug für dich? Also besorge dir einen neuen Körper und hör auf, mich mit deiner mißlichen Lage zu behelligen. Die Liebe wird alle Schwierigkeiten überwinden.«
Ben drehte seinen Schreibtischsessel zur Seite und fand etwas an der Wand, das er anstarren konnte.
»Ben, ich bin doch nicht unvernünftig. Ich will dir darin ja gar nicht widersprechen. Aber was soll ich tun?«
Lange Zeit antwortete er nicht. Dann drehte er seinen Stuhl zurück und sah mich an.
»Ich finde, du solltest gar nichts tun. Geh zu deiner Alicia zurück und macht euch das Leben so schön, wie ihr könnt. Tauscht Zärtlichkeiten, amüsiert euch, reist, macht aus eurem Sexualleben, was ihr könnt, sei es befriedigend oder unbefriedigend, oder verzichtet ganz darauf und findet andere Wege, eure tieferen Gefühle auszudrücken.«
Jetzt blickte ich weg. An der gleichen Wand, die er eben angestarrt hatte,
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