Alicia II
schmutzigen Stiefeln, beleidigende Aufrichtigkeit bei Antworten auf direkte Fragen, ekelerregende persönliche Gewohnheiten, die er als Kampfmittel gegen sozial Höherstehende einsetze, eine rebellische Grundhaltung, die er absichtlich zur Schau stelle – und vieles mehr. Ich pflegte zu antworten, ich wolle mein Bestes tun, um Stacy zu zähmen, aber ich wußte, daß es mir nicht gelingen würde, sein Benehmen zu beeinflussen.
An einem langweiligen Tag war Stacy schon längere Zeit abwesend. Ich konnte etwas, das ich brauchte, nicht finden und ärgerte mich langsam schwarz. Da sagte ich mir, die einzige Lösung sei, meinen verschwundenen Mitarbeiter aufzutreiben.
Ich trieb ihn auch auf, und sofort wünschte ich, ich hätte mich niemals auf die Suche nach ihm gemacht.
Kurz bevor ich die Baracke mit den Aufenthaltsräumen erreichte, hörte ich ein Geheul, das nach Stacy klang, und ein Krachen, als donnere ein Körper gegen eine sehr harte Substanz. Mit dem Gedanken, daß Stacy meine Hilfe brauchen mochte, rannte ich zur Tür. Mehrere meiner Kollegen rannten mir nach.
Sally Aden – die hübscheste, netteste und sexuell aktivste Frau unseres Forschungsteams – rutschte gerade an der hinteren Wand nach unten, als ich durch die Tür stürzte. Ihr Kopf schwankte haltlos auf ihrem Hals, als sei er abgehauen worden und werde gleich davonrollen. Aus ihrer Nase rann ein dünner Blutfaden seitwärts über ihre Wange. Ihr Mund stand offen, der Unterkiefer hing schlaff herunter. Ihr Laborkittel, auf den Blut aus der Nase und von einem Riß im Kinn tropfte, war an den Schulternähten aufgerissen. Ein Arm war ihr auf den Rücken gedreht, und als sie auf dem Boden aufschlug und bewußtlos liegenblieb, hörte ich etwas knacken. Eins ihrer Beine streifte ein Gestell, auf dem unsere Sammelkasse stand.
Es wackelte und kippte um. Stacy, dessen Anblick mir durch einen hohen Kasten mit Sportgeräten verborgen geblieben war, lief jetzt auf die ohnmächtige Sally zu. Seine Fäuste waren immer noch geballt, aus seiner Kehle drangen seltsame Grunzlaute. Er sah aus, als wolle er von neuem auf Sallys hilflosen Körper einschlagen. Ich brüllte zweimal seinen Namen. Beim zweitenmal blieb er abrupt stehen, als sei er darauf programmiert, beim Klang meiner Stimme abzuschalten. Sein Körper wurde schlaff. Er sah mich so ausdruckslos wie gewöhnlich an.
Die anderen drängten herein, und während einige sich um Sally kümmerten, beschimpften die anderen Stacy und mich.
Uns beide. Ich faßte Stacy am Arm, antwortete ihnen kein Wort und führte ihn hinaus. Unsere Ankläger teilten sich vor uns wie das Rote Meer.
In unserem Quartier angelangt, bekam Stacy Anschuldigungen von mir zu hören, aber er wollte nicht erklären, was geschehen war und warum. Er riet mir nur, meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Ich antwortete, ich wolle nicht nach dem Augenschein urteilen, ich verlangte die Wahrheit. Er meinte, ich solle mich umhören und zusehen, wieviel Wahrheit ich zusammenbekommen könne. Ich gab es auf, verließ das Quartier und ging ins Hospital, um mich nach Sallys Zustand zu erkundigen. Der Arzt sagte, den Umständen entsprechend gut. Die Diagnose lautete: Haarriß im Kiefer, ein gebrochener Arm, ein paar beschädigte Bänder und möglicherweise Gehirnerschütterung. Bestimmt werde sie es überleben, sie werde nur für einige Zeit nicht mehr hübsch aussehen. Er erlaubte mir, sie mir anzusehen. Aber er blieb mir die ganze Zeit so dicht auf den Fersen, als ob er Angst hätte, von mir seien weitere Gewalttätigkeiten zu erwarten.
Ich sah auf das verbundene, zerschlagene, verzerrte Gesicht nieder, und mir fiel über Sally Aden einiges wieder ein. Als ich auf Coolidge eintraf, war sie am eifrigsten hinter mir her gewesen. Sie hatte mir anvertraut, abgesehen von Sado-Masochismus sei sie für jede sexuelle Aktivität aufgeschlossen. Ich fand sie hübsch und anziehend, und deshalb kam ich mir albern vor, weil ich zu so vielen Winkelzügen Zuflucht nehmen mußte, um sie von mir fernzuhalten. Von Zeit zu Zeit hatte sie ihr Angebot erneuert, und es war mir eine angenehme Erinnerung, wie sie in besonders sinnlicher Stimmung ihren Körper an meinem gerieben hatte. Als ich jetzt ihr verletztes Gesicht betrachtete, wünschte ich, ich hätte das Geheimnis meiner Impotenz nicht bewahrt, sondern ihr die Wahrheit gestanden und ihr dann angeboten, ihr zu Diensten zu sein, sie auf Kosten meiner eigenen lächerlichen Unfähigkeit zu befriedigen. Ich kehrte in mein
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