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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Thurston
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Neuanpassungen und Umsiedlungen hatten die meisten dieser Probleme gelöst.
    Jedenfalls faszinierte Chinatown mich. Ich nahm dreimal an der Rundfahrt teil und bestellte beim Zimmerservice echtes chinesisches Essen. Oft kam ich mir richtig lächerlich vor, daß mir eine solche Ersatz-Tour Freude machte – und, was das angeht, daß ich überhaupt diese wenigen Tage der Isolierung in meiner Luxus-Zelle genoß.
    Mein dritter oder vierter Mußetag wurde durch den Anruf eines Reporters von einer der Tageszeitungen gestört, die fast in die ganze zivilisierte Welt übertragen werden. Er wollte mich interviewen. Ich fragte, warum in aller Welt ein Reporter mit mir zu sprechen wünsche. Er antwortete, mit aller Welt habe es wenig zu tun, wohl aber mit meiner Zeit im Raum, die für seine Leserschaft von Interesse sei. Ich sagte ihm, es sei seine Beerdigung, er solle nur kommen.
    Das Interview verlief ungemütlich. Der Reporter war ein großer, reichlich fetter Mann, und ich empfand das Unbehagen des alten Erneuerten beim Betrachten eines mißbrauchten Körpers. So unangenehm mir das Gefühl war, ich konnte es nicht verbannen. Die Fragen des Mannes konzentrierten sich auf meine Erfahrungen im Raumdienst. Ich war sparsam mit Einzelheiten, aber das hinderte ihn nicht daran, mich in seinem Artikel, der ein paar Tage später erschien, als tragischen Helden herauszustellen. Er betonte die Tatsache, daß ich, ein Erneuerter, meine Unsterblichkeit ständig in gefährlichen Situationen aufs Spiel gesetzt hätte, ein Aspekt meiner Abenteuer, über den ich bei der Beantwortung seiner unaufhörlichen Fragen zu diesem Thema absichtlich hinweggegangen war. Er entwickelte außerordentliches Interesse an einem Gedanken, der ganz allein seiner war: Ich sei irgendwie besonders heroisch, weil ich geprüft hätte, »aus welchem Holz ich als Mann geschnitzt sei«. Ohne an die garantierte Unsterblichkeit zu denken, sei ich zu unseren Wurzeln als Männer der Tat zurückgekehrt. Er behauptete, ich machte einen geschichtlichen Test (oder eine ähnliche verdammt blöde Idee) und dadurch hätte ich einen Beweis für die ungebrochene Lebenskraft der Geschichte geliefert. Ich legte den Artikel bei meinen Reiseunterlagen ab und sah ihn so gut wie nie wieder an.
    Obwohl der Hotel-Service soviel Abwechslung bot, hatte ich ihn nach ein paar Tagen satt, und wir entschlossen uns zu einem »echten« Ausflug nach draußen. Als wir unsere Suite gerade verlassen wollten, rief June Albright an. Sie sagte, Ben nehme an einer Konferenz in Washington teil und sie habe den Tag frei. Ohne zu fragen, ob wir andere Pläne hätten, forderte sie uns auf, sie in der Gegend des alten Washington Square zu treffen, neben dem teilweise eingestürzten, zerbröckelnden Bogen. Dort sei es ungefährlicher als an den meisten anderen Orten, teilte sie uns mit, eine Art entmilitarisierter Zone, die die Ausgemusterten respektierten. Das mag ja so gewesen sein, aber die Fahrer der ersten beiden Taxis, die wir anhielten, weigerten sich, uns hinzubringen. Der dritte ließ uns an dem Bogen aussteigen, der auch als Ruine immer noch eindrucksvoll war. June wartete bereits. Sie führte eine lebhafte Diskussion mit zwei kümmerlich aussehenden Männern in Mänteln, die für den balsamischen Tag viel zu dick waren. Als sie sich umdrehte und uns begrüßte, traten die Männer mit einer Mischung aus Höflichkeit und Mißtrauen zurück.
    »He«, sagte June, »wir haben gerade die Vorzüge unserer Zeit mit der Dostojewskis verglichen, 19. Jahrhundert in Rußland.«
    »Und welche Unterschiede gibt es zwischen diesen Zeiten?« fragte ich.
    »Simon hier behauptet, so gut wie keine. Die privilegierte Klasse habe es damals ebenso wie heute recht gutgehabt, und das soziale Verantwortungsgefühl habe sich auch etwa auf dem gleichen Niveau befunden. Simon ist übrigens nicht ausgemustert.«
    »Warum halten Sie es für notwendig, darauf hinzuweisen?«
    »Weil Sie gedacht haben, er sei es.«
    »Ich bin ein Selbstmörder«, erklärte Simon mit unglaublich kratziger Stimme. »Das heißt – denn das hätten Sie mich doch gleich gefragt –, daß ich es abgelehnt habe, mich noch einmal erneuern zu lassen. Ich habe zwei gute Lebensspannen gehabt, und ich will keinem Körper mehr Gewalt antun, nur um in einer weiteren Runde den selbstsüchtigen Drang nach Vergnügen zu befriedigen.«
    Ich war glücklich, einen Menschen mit Idealen zu treffen, wenn er sie auch im Stil eines Seifenkistenredners verkündete.
    Aber

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