Alicia
Euch nur gefragt, ob Ihr die Nacht mit ihm verbringen möchtet. Ich erinnere mich, daß nicht wenige Männer Euch dasselbe fragten, was Euch jedoch nicht zu stören schien. «
Alicia schwieg. Sie dachte daran, daß der Engländer das Ende ihrer Freiheit bedeutete und sie nicht mehr unbefangen mit Männern flirten konnte.
Morag ließ sich durch ihr Schweigen nicht beirren. »Er bat Euch, den Tag mit ihm zu verbringen. Schließlich ist Eure Hochzeit für morgen festgesetzt. «
»Woher weißt du das? Hast du schon wieder mit diesem Engländer gesprochen? «
»Stephen sagte es mir heute morgen«, antwortete Morag geduldig.
»So. Was gefällt dir denn so gut an ihm? Es gibt bessere Männer, sogar unter den Engländern! «
Morag machte eine geringschätzige Handbewegung: »Bisher habe ich keinen besseren getroffen. «
»Roger Chatworth ist ein freundlicher, intelligenter Mann und hat einen kräftigen Schuß schottischen Bluts in den Adern. «
»Hat er Euch das erzählt? « schnaubte Morag. »Vielleicht wollte er damit sagen, daß er großen Geschmack an schottischem. Grundbesitz fände. Ich glaube, Roger Chatworth möchte liebend gern das Land haben, das Euch gehört. «
Alicias Augen funkelten zornig auf. »Wollen das nicht alle Engländer? Selbst wenn ich alt und fett wäre, würden sie mich meines Besitzes wegen zur Frau nehmen. «
Morag schüttelte erbost den Kopf. »Erst verdammt ihr Stephen, weil sein hitziges Blut ihn treibt, Euch zu umarmen. Und im nächsten Atemzug klagt Ihr, daß die Männer nur Euren Besitz wollen und nicht die Frau, die Ihr verkörpert. Gebt ihm Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. Fragt ihn, weshalb er die Hochzeit versäumte. «
Alicia sah finster vor sich hin. Sie wollte Stephen nie wiedersehen, wenn sie das irgendwie ermöglichen konnte. Sie mochte sich vorstellen, daß Roger an ihrer Seite ritt. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, daß Stephen sich beherrschte, wenn sie nicht wollte, was er sich wünschte. Sie sah zu Morag hinüber.
»Ich werde versuchen, mit ihm zu reden… wenn er seine Hände so lange stillhalten kann, daß ich zu Wort komme. «
Morag meinte kichernd: »Ich glaube, ganz hoffnungslos klingt Eure Rede nicht! «
3. Kapitel
Trotz ihres Widerwillens, den Tag mit ihrem Verlobten zu verbringen, kleidete sich Alicia sorgfältig an. Sie wählte ein weinrotes Wollkleid mit einem Besatz aus Zuchtperlen am Ausschnitt und eng sitzenden Ärmeln.
Als sie die Treppe hinunterstieg, hielt sie den Kopf hoch erhoben. Sie wollte Stephen Montgomery eine Chance geben. Vielleicht hatte sie ihn voreilig verdammt, und er meinte es vielleicht sogar gut mit ihrem Klan. Dafür hätte sie ihm sein Zuspät kommen zur Hochzeit verzeihen können. Das Wohl ihres Volkes war wichtiger als eine persönliche Kränkung. Sie wünschte sich nicht weniger als König Heinrich, daß Frieden herrschen sollte zwischen Schotten und Engländern. Um so mehr, da die blutige Fehde zwischen den beiden Völkern fast ihre ganze Familie ausgerottet hatte.
Sie kam in den Garten und sah Stephen an der Mauer lehnen. Sie mußte zugeben, daß er gut aussah. Er wirkte sogar ungemein anziehend auf sie. Dennoch durften ihre persönlichen Empfindungen — Haß oder Liebe — niemals dem Wohl ihres Klans entgegenstehen.
»Guten Morgen«, sagte sie ruhig, als er zu ihr trat. Er sah sie mit brennenden Augen an und hob eine Locke von ihren Schultern, als wären sie schon vertraute Eheleute.
»Ist es Sitte bei den Schottinnen, ihr Haar unbedeckt zu lassen? « Er wickelte die Locke um den Finger.
»Solange eine Frau noch kein Kind geboren hat, pflegt sie ihren Kopf unbedeckt zu lassen. Es sei denn, sie kleidet sich in ihrer Landestracht. « Sie wartete, daß er dieses Stichwort aufgriff, doch er lachte nur und sagte:
»Ein Kind. Wir wollen zusehen, daß wir da etwas erreichen können. Zwei Pferde erwarten uns dort. « Er deutete mit dem Kopf zum Ende des Gartens. »Seid Ihr bereit? «
Sie bewegte den Kopf, daß er ihre Locke freigeben mußte. »Eine Schottin ist immer bereit, wenn es um das Reiten geht. « Sie achtete nicht auf sein amüsiertes Lachen, als sie mit gerafften Röcken vor ihm herging.
Eine hübsche schwarze Stute tänzelte unruhig neben Stephens Rotschimmel. Ehe Stephen ihr in den Sattel helfen konnte, saß sie mit einem Satz bereits auf dem Rücken der Stute. Zum hundertsten Male verfluchte sie die englische Kleidermode, die sie mit so vielen Röcken behängte. Sie war Stephen wenigstens dafür
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