Alicia
dankbar, daß er die Stute nicht mit einem Frauensattel versehen hatte, wie Roger es getan hatte.
Bevor Stephen richtig im Sattel saß, hatte sie der Stute schon die Zügel freigegeben. Es war ein feuriges Tier, so begierig wie Alicia, sich Bewegung zu verschaffen. Sie trieb die Stute im vollem Galopp auf den Pfad zu, den Roger ihr gezeigt hatte. Sie beugte sich weit im Sattel vor und badete ihr Gesicht und Hals im frischen Wind, durchströmt von einem Gefühl der Freude, für eine Weile ihrem Gefängnis entronnen zu sein.
Da wurde sie von einer Bewegung abgelenkt, die sie aus dem Augenwinkel wahrnahm. Sie drehte sich ein wenig im Sattel und sah Stephen dicht hinter sich, während ihr Vorsprung sich stetig verringerte. Sie lachte laut. Kein geborener Engländer vermochte eine Schottin auf einem Pferd zu schlagen. Sie redete der Stute beschwörend zu und schlug mit der Gerte ihre Flanke. Das Pferd sprengte dahin, als habe es Flügel bekommen. Ein Gefühl der Macht und des Überschwangs durchrieselte sie.
Als sie kurz über die Schulter sah, bemerkte sie zu ihrem Befremden, daß Stephen trotzdem aufholte. Vor ihr verengte sich der Pfad. Er war zu schmal, um zwei Reitern zu gestatten, auf gleicher Höhe zu bleiben. Wenn er sie überholen wollte, mußte er in den Wald ausweichen und riskieren, daß sein Pferd in ein Kaninchenloch trat oder gegen einen Baum prallte. Sie lenkte ihr Pferd in die Mitte des Pfades. Sie wußte, wie ein Schotte mit einem Reiter verfahren würde, der ihm den Weg blockierte, doch diese Engländer waren Memmen, viel zu verweichlicht für so ein gefährliches Manöver.
Die Stute rannte so schnell, sie konnte. Stephen mußte ganz dicht hinter ihr sein, und Alicia lächelte triumphierend, weil er sich nun nicht mehr zu helfen wußte. Doch plötzlich kam ihre Stute leicht ins Stolpern und wieherte ängstlich, während Alicia alle Hände voll zu tun hatte, im Sattel zu bleiben. Stephens kriegsgeübter Hengst hatte die Stute, die ihm den Weg verlegte, kurz in die Hinterbacke gekniffen.
Während Alicia versuchte, die Stute auf der Mitte des Pfades zu halten, verfluchte sie die Engländer, weil sie nicht ihr eigenes Pferd reiten durfte. Dieses Reittier war ihr fremd und nicht so empfänglich für ihre Hilfen.
Die Stute schrie zum zweitenmal, als der Hengst sie in den Schenkel biß. Diesmal gehorchte sie nicht mehr den Befehlen ihrer Reiterin, wich zur Seite und ließ Stephen an sich vorbeigaloppieren. Den Blick, den er Alicia zuwarf, beantwortete sie mit einem schrecklichen gälischen Fluch. Sie riß am Zügel und lenkte die Stute wieder zur Mitte des Pfades.
Während des Rennens hatte Alicia der Stute nicht einmal gestattet, das Tempo zu verlangsamen. Nur ihrer jahrelangen innigen Vertrautheit mit diesen Tieren hatte sie es zu verdanken, daß die Stute nicht mit einem Satz vor dem Hengst in den Wald hineinflüchtete.
Als sie den Fluß erreichte und mit einem Satz über das Wasser flog, wartete Stephen bereits am anderen Ufer auf sie. Er war aus dem Sattel gestiegen und stand ruhig neben seinem Pferd, das seinen Durst im Fluß löschte. »Nicht übel«, sagte er und grinste zu ihr hinauf. »Ihr habt zwar die Neigung, mehr mit der rechten Zügelhand zu arbeiten als mit der linken; doch auch das läßt sich mit ein wenig Übung korrigieren. »
Alicias Augen sprühten Blitze. Übung! Sie hatte bereits mit vier ihr eigenes Pony geritten und ihren Vater auf den Raubzügen begleitet, wenn sie im Mondlicht die Rinder fremder Klans forttrieben, als sie acht Jahre alt war. Und sie sollte üben!
Stephen lachte. »Ihr seht ganz verstört aus! Wenn es Euch beruhigt — Ihr seid die beste Reiterin, die ich in meinem Leben gesehen habe. Ihr könntet fast jeder Engländerin Reitstunden geben. «
»Engländerinnen! « keuchte sie entrüstet, »Ihr habt wohl Engländer sagen wollen! «
»Vor Euch steht einer, gegen den Ihr soeben ein Rennen verloren habt. Steigt endlich von Eurer Stute herunter und reibt sie ab. Pferde darf man nicht in ihrem Schweiß stehenlassen. «
Jetzt erdreistete er sich noch, sie zu belehren, wie sie mit Pferden umzugehen habe! Sie lächelte höhnisch, beugte sich vor und hieb mit der Reitgerte nach Stephen. Mühelos wich Stephen dem sausenden Leder aus, packte sie dabei beim Handgelenk und drehte es herum. Diese unerwartete Reaktion zwang sie, die Gerte fallen zu lassen. Zugleich verlor sie die Balance. Die schweren englischen Röcke hatten sich ihr ums Bein gewickelt, so daß ihr
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