Alicia
»Stephen übt fleißig mit meinen Männern. «
»Er ist ein guter Mann«, sagte Sir Hugh und nahm ein Stück Käse von dem Tablett, das ein Diener ihm vorhielt.
»Vielleicht«, sagte sie und nahm einen kräftigen Schluck warmen gewürzten Weins aus einem Becher.
»Ich beneide ihn. «
»Wirklich? « Sie sah ihn forschend an. »Vielleicht könnt Ihr ihn ersetzen… in gewisser Hinsicht. « Sie sah, wie Hugh nun doch Interesse zeigte, der eitle Pfau. »Lady Alicia«, sagte er dann feierlich, »ich muß ernsthaft mit Euch reden. Über Stephen. «
»Wie war er denn als Kind? « fiel sie ihm ins Wort.
Hugh sah sie betroffen an. »Ernsthaft. Wie Gavin. Alle Montgomery-Brüder sind in einer Männerwelt aufgewachsen. Wenn Stephen sich linkisch benimmt, liegt es daran, daß er so wenig Erfahrung mit Frauen hat. «
»Da unterscheidet er sich so sehr von Euch«, schnurrte sie.
Hugh lächelte selbstgefällig. »Ja, so ganz unerfahren bin ich nicht, und deshalb… deshalb fühlt Ihr Euch wohl zu mir hingezogen. Doch mit den Jahren werdet ihr Euch schon an ihn gewöhnen und ihn schätzen lernen. «
»Ist es das, was Ihr im Leben sucht — eine Frau, die Euch schätzt? «
»Oh, ich bin ein ganz anderer Mann als Stephen«, sagte er genüßlich.
Alicia sah ihn strahlend an, während ein Plan in ihr reifte. »Vor kurzem weilten wir bei Bauern in Schottland, Stephen und ich, die einen herrlichen Trank aus Flechten zubereiteten. Als wir durchs Tor kamen, sah ich diese Flechten in der Nähe der Felsen dort wachsen. Vielleicht könnten wir einen Spaziergang dorthin machen und sie sammeln. Ich möchte Euch gern diesen Trank kredenzen. «
Hugh sah einen Augenblick besorgt vor sich hin und nickte dann. Ihm gefiel die Wendung nicht, die das Fest nun nahm. Es sah fast so aus, als wollte Stephens Frau ihren Gatten betrügen.
Unterwegs redete Hugh nur von Stephen, was für ein ehrenwerter Mann er sei und wie großzügig, daß er sogar ihretwegen diese lächerliche Schottenkleidung trüge.
Es begann zu regnen, als sie wieder ins Haus zurückkehrten. Sir Hugh benahm sich sehr feierlich, als er sie zu seinem Söller hinaufgeleitete. Ein Diener brachte heißen Wein und Becher, damit Alicia den Trank zubereiten konnte. Als sie die Zutaten sorgfältig mit dem Wein mischte, beobachtete sie Hugh, wie er die Brust hervorstreckte und eine selbstgefällige Miene aufsetzte in dem Glauben, er sei überaus edelmütig, da er sich gegen die Annäherungsversuche der Frau seines Freundes wehrte.
»Mylord«, sagte sie mit lieblicher Stimme und reichte ihm das Getränk im Becher. Sie lächelte, als er sagte, das Getränk sei köstlich. Er leerte den Becher und wollte nachgefüllt haben.
»Ich muß mit Euch reden«, sagte er dann ernsthaft, als er ein zweites Mal den Becher geleert hatte. »Ihr dürft mein Haus nicht in dem Glauben verlassen, in dem Ihr jetzt befangen seid. «
»Und in welchem Glauben bin ich befangen? « fragte sie süß.
»Stephen ist mein Freund, ist es immer gewesen. Und ich hoffe, er wird es immer bleiben. «
»Und weshalb sollte er es nicht bleiben? «
»Das hängt ganz von Euch ab. Ihr dürft ihm nie… nie sagen, daß Ihr Euch zu mir hingezogen fühlt. «
»Zu Euch hingezogen? « fragte sie unschuldig. Sie setzte sich einen Sessel ihm gegenüber. »Was meint Ihr damit? «
»Oh, gemach, Mylady — wir beide wissen sehr wohl, was sich heute zwischen uns anbahnte. Alle Frauen wissen sehr wohl Bescheid über die Angelegenheiten des Herzens. «
»So? Alle Frauen? Sagt mir, was wissen sie denn noch? «
»Nun spielt mir nicht die Naive! « schnappte er. »Ich bin in diesen Dingen nicht so unerfahren wie Stephen. Vielleicht könnt Ihr ihn in den Glauben versetzen, daß Ihr keine anderen Männer anschaut. Da er mein Freund ist, werde ich ihm diese Illusion nicht nehmen. Aber mir braucht Ihr nicht die Unschuldige vorzuspielen. «
In diesem Moment spürte er einen scharfen Stich in seinen Eingeweiden.
»Ihr seht ganz blaß aus. Ich werde Euch noch etwas von diesem Getränk geben. «
Hugh schüttete den dritten Becher von diesem köstlich mundenden Wein in sich hinein. Er war ganz außer Atem, als er sich von den Schmerzen in seinem Leib ein wenig erholt hatte. »Der Fisch muß verdorben gewesen sein«, sagte er und betrachtete damit das Thema als erledigt. »Wo war ich stehengeblieben? «
»Ihr sagtet mir, ich sei bereit, Euretwegen meinen Mann zu verlassen. «
»Ihr legt meine Worte ein wenig zu weit aus. Ich… «
Alicia
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