Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
das alles ist Teil eines
Ganzen.«
»Sie wollen sagen, daß die Burg irgendwie lebendig
ist?« Dorthy lachte. »Vielleicht ist sie der FEIND. Wenn
die neuen Männlichen die Spitze der Spirale erreichen, wacht sie
auf und beginnt sich zu bewegen. Und der Seeinhalt ist ihre
Nahrung.«
Mit ernster Miene nahm Andrews den Splitter wieder an sich und
steckte ihn in die Tasche.
»Das da draußen kann alles Mögliche sein, oder
nicht?«
»Das ist es ja, was mir keine Ruhe läßt«,
antwortete er mit überraschender Offenheit. »Ich werde
sobald wie möglich wieder hinausgehen, ehe Ramaro in dieser
Sache kalte Füße bekommt. Werden Sie mir helfen,
Dorthy?«
Das also war der wahre Grund, warum er sie ausgewählt hatte.
Sie spürte einen Anflug von Ärger, weil er sie benutzte.
Weil er ihr TALENT brauchte, nicht sie selbst, nicht ihr Wissen und
ihre Arbeitskraft. Aber ihr Zorn verflog schnell. Genau das war ja
schließlich der Grund gewesen, weshalb sie hiergeblieben war.
»Was soll ich tun?«
Er schien überrascht. »Sie kommen mit mir? Ich muß
Sie warnen. Es wird sehr gefährlich sein. Es gibt keinerlei
Schutz, wenn man uns bemerkt und verfolgt.«
»Natürlich gehe ich mit. Ich bin hiergeblieben, weil ich
lieber arbeite, als in Camp Zero zu verrotten. Ich hätte von
vornherein wissen müssen, daß hier mein ganzer Einsatz
verlangt wird.«
Sein Gesicht wurde wieder ernst. »Wissen Sie, daß Sie
sich verändert haben, seitdem ich Ihnen das erste Mal begegnete?
Noch vor wenigen Wochen wären Sie nicht freiwillig
mitgekommen.«
»So? Ich weiß nicht.« Dorthy fragte sich, ob das
stimmte. Hatte sie sich verändert? Und woran konnte sie
erkennen, daß es so war?
Sie ließen den Chopper in Sutters Obhut am Waldrand
zurück und gingen über den breiten Grasgürtel zum
Damm, der zu den aufragenden Wällen der Burg
hinüberführte. Wieder war Dorthy beeindruckt von den
schieren Ausmaßen des Gebildes. Die unteren Spiralen, flankiert
von hohen Strebepfeilern und gewölbten Übergängen und
Brückenbögen, die zum Kern der Burg hinführten, waren
allein schon so hoch wie die Wolkenkratzer um das Quadrado de
Cinco Outubro herum, einige geformt wie Rosendornen, andere
nadeldünn in schwindlige Höhen aufstrebend. Und die
Hauptspirale war so hoch, daß Dorthy in einem Kilometer
Entfernung noch den Kopf weit in den Nacken legen mußte (der
weiße Stoff des Chamäleon-Tarnumhanges rutschte ihr dabei
immer wieder über die Augen), um ihre Spitze zu erkennen, die
über die Kratergipfel hinaus in den sternenklaren Himmel ragte.
Weiter unten blitzten unregelmäßige Lichtmuster in
glühendem Rot.
»Kommen Sie«, mahnte Andrews ungeduldig und lief, ohne
auf sie zu warten, über den verfilzten Flechtenteppich, wobei
sein Chamäleon-Tarnumhang sofort das tiefe Violett der Ranken
annahm. Dorthy schluckte eine Tablette des Mittels, das ihr TALENT
befreite, und eilte hinter Andrews her, den sie gerade noch als
dahinhuschenden Schatten wahrnehmen konnte.
Als sie den Damm erreichten, der in gerader Linie durch das
schwarze, sumpfige Seewasser mit seinen langsam treibenden, schwach
schimmernden Inseln aus photosynthetischem Schlamm zur Burg
führte, schälten sich allmählich die Umrisse der
Konstruktion aus der Dunkelheit. Schlanke Pfeiler mit feinen
Kannelierungen, dunkle Wälle, von Ranken überwuchert, der
spiralförmige Aufgang zur Spitze des Zentralturms, ein schmales
Band am terrassenförmigen Anstieg der Hauptspirale, das sich an
den niedrigeren Spiralen vorbei immer höher wand.
Andrews fragte Dorthy, wie sie sich fühle.
»Höllisch nervös.« In diesem Moment begannen
seine Gedanken an der äußeren Hülle ihres TALENTES zu
kratzen.
»Aber Sie haben sie doch schon mehrfach sondiert.«
»Das war, bevor sie ihr Ziel erreicht hatten, bevor sie ihren
Text zu lernen begannen. Dieser Ort da beherrscht sie ebenso, wie er
die gesamte Kaldera beherrscht. Was drinnen ist… ich weiß
es nicht. Vermutlich ist es das, weshalb ich hier bin.«
Andrews, der genau das hatte sagen wollen, fragte statt dessen:
»Wie weit ist Ihr TALENT?«
»Ich bin einsatzbereit.« Dorthy sah nach oben, aber
jetzt war die Spitze im Zentrum von den sie umgebenden Spiralen
verborgen. »Gott, ist das hoch.«
»Ich fühle mich wie ein Ritter, der gekommen ist, um die
Prinzessin aus dem Schlaf wachzuküssen und sie zu
erretten«, brummte Andrews. Sein Gesicht war gerade noch unter
der Haube des Tarnumhanges auszumachen. Er lächelte.
Der Damm war so breit,
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