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Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Titel: Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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der Biegung der Rampe auf. Er hatte es offenbar so eilig,
daß er über die eigenen Füße stolperte,
während er auf sie zulief. Dorthy erstarrte vor Schreck, doch
dicht vor ihr warf sich der Hüter in die Ranken und begann trotz
seines unförmigen Körpers wendig daran emporzuklettern.
Weiter oben schwang er sich über den Rand der Rampe und war
verschwunden.
    »Jesus!« Dorthy atmete tief durch.
    »Was war los?« fragte Andrews’ Stimme an ihrem Ohr.
Sie hatte das Mikrophon um ihren Hals völlig vergessen.
»Nichts«, antwortete sie. »Ich mache mir nur etwas
Mut. Seien Sie jetzt bitte still. Ich muß mich
konzentrieren.«
    Nach einer weiteren Minute war sie wieder in der Lage
weiterzugehen. Vor sich erfaßte sie andere Bewußtseine
– das gemeinsame Ziel, das im Bewußtsein aller Gruppen der
neuen Männlichen verankert war, jetzt aber durchsetzt mit den
deutlichen Anzeichen einer halbwegs informierten, nicht vollendeten
Intelligenz, komplex wie das Sonnenlicht auf der unruhigen
Oberfläche des Meeres.
    Dorthy ging weiter und fühlte sich, als sie hineintauchte,
wie ein Surfer, der vor dem Kamm einer riesigen Welle dahingleitet,
um sich schließlich von ihr überrollen zu lassen. Sie
brauchte sich nicht mal darauf vorzubereiten.
    Hinter der nächsten Biegung der Rampe stieß sie auf
eine Gruppe der neuen Männlichen. Vier von ihnen hockten vor der
Wand und ließen die merkwürdig kleinen Hände
über das Schriftband gleiten, lasen es mit einer
schwerfälligen Beharrlichkeit, die nicht zu vergleichen war mit
der fliegenden Hast, mit der ein geübter menschlicher Leser
seine Augen den Zeilen folgen läßt, ehe er den Sinn des
Geschriebenen erfaßt. Die neuen Männlichen lasen dagegen
Zeichen um Zeichen. Dorthy konnte nicht genau entschlüsseln, was
sie da lasen, aber den Sinngehalt erlebte sie als eine Reihe von
Melodien, die sich urplötzlich aus der dumpfen Dissonanz einer
Mahler-Symphonie emporschwingen oder wie Delphine plötzlich die
glatte Meeresoberfläche durchbrechen. Es war ein sich langsam
entfaltender Einblick in die gesamte Ökologie der Burg, mit
allem, was sich darin befand: das flinke Dahinhuschen von Tieren, der
langsame Wachstumsreigen der Bäume, des Grases, die gemeinsamen
Zyklen von Erde, Luft und Wasser, alles miteinander verwoben und
vermischt. Alles. Dorthy erfuhr, daß Jäger das Land, in
dem sie leben, auf eine Weise verstehen lernen müssen, die
jenen, die mit seinen Eigenheiten nicht vertraut sind, immer
verschlossen bleiben muß. Sie machten es sich nicht Untertan
wie Bauern, die es nur in einer Richtung künstlich ins
Gleichgewicht bringen und Energie einsetzen müssen, um es in
diesem instabilen Gleichgewicht zu halten. Sie akzeptierten die
konstanten Zyklen, deren Wechsel sich in einem langsamen, stetigen
Reigen unter der brodelnden Oberfläche des kurzen Lebens
vollzog…
    All dies stürmte innerhalb eines Augenblicks auf sie ein. Sie
war überwältigt – als habe sie sich in einem
Zerrspiegel-Kabinett gesehen und sei vor Schreck über ihr
eigenes Aussehen wie erstarrt.
    Der Augenblick ging vorüber. Vor ihr richteten sich die neuen
Männlichen auf, die weiten Hauben schlackerten plötzlich um
ihre Gesichter. Zweifellos konnten sie Dorthy trotz ihres
Chamäleon-Umhangs sehen. Ihr neues Wissen rammte sich wie ein
Speer in Dorthys Vorderhirn…
    Sie wandte sich zur Flucht.
    Etwas erdrückend Starkes umklammerte ihre Hüfte und hob
sie in die Luft. Scheinbar übergangslos sah sie die Rampe unter
sich kleiner werden, als ihr Häscher, der sie über die
Schulter geworfen hatte und sie mit einer Hand festhielt, in
unglaublicher Schnelligkeit mit den Füßen und der anderen
Hand an einer Ranke emporkletterte. Der Schock ließ alles
überdeutlich und winzig erscheinen – als schaue Dorthy
durch das falsche Ende eines Teleskops. Der andere Männliche!
Dorthy hatte ihn völlig vergessen, nachdem er auf der Rampe
über ihr verschwunden war. Er mußte oben abgewartet haben,
bis sie unter ihm vorbeiging, und dann heruntergestiegen sein, um sie
von hinten zu überwältigen. Leise rief sie Andrews, und er
antwortete sofort.
    »Sind Sie fertig?«
    »Auf eine Art schon. Im Moment liege ich auf der Schulter
eines Männlichen, eines Statthalters oder, um in Ihrer
Terminologie zu bleiben, eines Hausmeisters – wie auch immer. Er
schleppt mich nach oben. He, verdammt, paß doch auf!«
    Der neue Männliche hatte sich auf eine Terrasse hochgezogen,
die am Aufgang der nächsten Rampe lag, und begann

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