Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
kalt. Die Bäume standen nun in weiten Abständen, und
Bahnen roten Lichtes drangen bis zum Waldboden vor, der mit
Piniennadeln und Büscheln dunkelblättriger Pflanzen bedeckt
war, die ausschließlich in diesen Lichtinseln wuchsen.
Auf einer größeren Lichtung machte sie Rast. Narbiger
schwarzer Fels, mögliche Überreste eines Lavastromes,
türmte sich an einer Seite baumhoch und schirmte die Lichtung
ab. Dorthy ließ das Gewehr fallen und streckte sich im warmen
Sonnenlicht auf dem dichten Nadelteppich aus. Sofort fiel sie in
einen tiefen, traumlosen, dunklen Schlaf.
Als sie erwachte, bemerkte sie ein leichtes Druckgefühl auf
ihrem Bauch, warm und weich. In der Annahme, es sei Kilczers Hand,
tastete sie verschlafen danach. Ihre Fingerspitzen strichen über
kurze Fellhaare. Sie riß erschrocken die Augen auf und sprang
auf die Füße. Die Kreatur fiel zu Boden und streckte sich.
Den langgestreckten Körper umhüllte ein hübscher
rothaariger Pelz mit goldenen Strähnen. Die großen
schwarzen Augen schienen sie vorwurfsvoll anzuschauen. Dorthy atmete
tief durch und griff nach dem Gewehr. Das Wesen floh. Geschmeidig
wedelte der lange Körper auf seinen drei Beinpaaren davon. Der
Anblick war so komisch, daß Dorthys Abscheu wich und sie, vom
Schlaf noch halb benommen, laut auflachte. Sie schaute sich nach
Arcady Kilczer um…
- und dann fiel ihr ein, was geschehen war.
Später, als sie wieder durch den Wald wanderte, zwischen
hohen Bäumen entlang, die beinahe, aber nicht ganz den Pinien
auf Erde glichen (aber vielleicht waren es die Vorläufer der
Bäume, die an den steilen Hängen in Thrakien wuchsen, wo
sie eine kurze, heiße Woche lang gearbeitet hatte, und in der
alles um sie herum nach Thymian duftete), tat es ihr leid, daß
sie das Wesen verscheucht hatte. Immerhin war es, während sie
schlief, auf der Suche nach Wärme oder nach Gesellschaft zu ihr
gekommen…
Wenigstens hätte sie so etwas Abwechslung gehabt.
Ausgerechnet sie, die meist jede Geselligkeit mied, sehnte sich bei
ihrer einsamen Wanderung durch den Bergwald mehr und mehr nach einem
Begleiter. Sie vermißte Kilczer. Es war nicht direkt Kummer,
was sie empfand, sondern ein ganz merkwürdiges Gefühl des
Verlustes. In manchen Augenblicken stellte sie sich vor, er ginge nur
ein paar Schritte hinter ihr her, leicht nervös, sie
ständig antreibend in seiner typischen, mit Freundlichkeit
gemischten Ungeduld. Dann drehte sie sich um – und wurde wieder
mit der Realität ihres Alleinseins konfrontiert.
Im großen und ganzen blieb ihr Aufstieg durch den Wald
ereignislos. Schon lange hatte sie jedes Zeitgefühl verloren.
Nur ihr Zeitmesser im Handgelenk rief ihr die rechnerische
Größe Zeit hin und wieder ins Gedächtnis zurück.
Sie aß nicht in bestimmten Intervallen, sondern nur, wenn sie
hungrig war, und verzehrte erst ihren Vorrat an Dörrfleisch, ehe
sie sich wieder etwas erjagte – wenn dies das richtige Wort
dafür war. Denn obwohl tierisches Leben hier rar war, schien es
der Gefahr, die Dorthy repräsentierte, ziemlich sorglos zu
begegnen: eben jener Menschheit, die beinahe selbst ihren eigenen
Planeten zerstört hatte. Dorthys häufigste Beute waren
kleine Geschöpfe mit kurzem Fell, gestreift wie Hörnchen,
aber mit einem langen schmalen Kopf und dürren Beinen. Ohne
Scheu liefen sie Dorthy über den Weg, und sie erlegte sie ohne
Gewissensbisse und kochte ihr weiches Fleisch über kleinen
Feuern, die sie mit Kilczers Raumfeuerzeug aus dem Beutel
anzündete.
Während des Marsches orientierte sie sich an dem Canyon.
Zweimal mußte sie dabei klares Wasser führende
Nebenflüsse durchwaten. In den höheren Regionen wurden die
Bäume kleiner und wuchsen nur noch in weiten Abständen. Die
Zwischenräume füllten struppiges Buschwerk, das mit seinen
dornigen Ästen ein fast undurchdringliches Dickicht bildete,
oder Pflanzen, deren Blätter oft größer als Dorthys
Kopf waren und in der stetigen Brise schwankten. Manchmal verfolgte
sie, wie große Flugwesen sich auf breiten Schwingen von
über zehn Meter Spannweite von den Fallwinden der Gipfel im
Kraterrand davontragen ließen. Abergläubisch, wie sie war,
schoß sie nie auf diese großen Reiter der Winde.
Ohne jegliches Zeitempfinden wanderte sie manchmal dreißig
Kilometer zwischen ihren Schlafpausen und schaffte gelegentlich nicht
einmal fünf. Und immer ragte der Kraterwall vor ihr auf und
streckte seine Gipfel in die Wolken. Gelegentlich suchte sie den
dunklen Himmel nach Choppern ab,
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