Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
horizontal
über die Wasserfläche herausragte, über den Bugrand
schrammten. Kilczer löste ein Ruder aus der Klampe und stakte
das Boot, bis es parallel zum Stamm lag. Dorthy verknotete das
übriggebliebene Tauende, so gut es ging, an einem dicken
Ast.
Kilczer reckte sich und rieb sich die Arme. Der Hüter
beobachtete ihn, geduckt in einer Laube aus Pinienzweigen
sitzend.
»Denk ja nicht daran, uns davonzulaufen, du kleines
Monster«, knurrte Kilczer und packte das Gewehr. Der Hüter
machte sich noch kleiner, seine Klauen scharrten über das
Holz.
»Wie schön. Du hast mich also verstanden. Dorthy, kannst
du auf unseren Gast aufpassen, während ich etwas
schlafe?«
»Natürlich.« Sie massierte seine Schultern, nachdem
er sich ausgestreckt hatte, und bearbeitete seine verkrampften
Muskeln, bis sie sich unter ihren geschickten Fingern lockerten.
»Das tut gut«, seufzte Kilczer, während sie ihn
knetete – seine kühle, leicht wächserne Haut, das
Gerippe seines knochigen Rückens. Ihr dünner, weißer
Liebhaber!
Wenig später schlief er, den Kopf auf die gekreuzten Arme
gebettet, das Gesicht zur Seite geneigt, halb verdeckt von seinem
langen Haar. Dorthy saß neben ihm. Das Gewehr hatte sie vor
sich auf die Plattform gelegt. Der Hüter im Bug rührte sich
nicht. Seine großen Augen waren Teiche voll
unergründlicher Schatten. Vielleicht schlief er auch.
Stunden verstrichen. Dorthy schaute zu, wie die Wasser an dem Boot
vorbeirannen. Das rote Licht brach sich in den Wellenkämmen an
der Oberfläche. Dorthys Ängste schwanden nach und nach in
seinem sich ständig verändernden unveränderlichen
Jetzt.
Ein kleiner Rankenteppich trieb vorbei, in den Fängen der
schnellen Strömung in der Flußmitte einen nie endenden
Tanz aufführend. Aus den Bäumen am anderen Ufer brach ein
Schwarm fliegender Wesen hervor. Sie umkreisten das Boot, ehe sie
flußabwärts verschwanden. Der Hüter sah ihnen nach,
verfiel aber rasch wieder in seine Regungslosigkeit – eine dicke
Gestalt in dunklem Pelz, das Gesicht fast verborgen im Schatten der
Kapuze.
Einige Zeit später wurde Kilczer wach, reckte sich, setzte
sich auf und rieb sich die Augen. »Wie lange habe ich
geschlafen?«
Dorthy schaute auf ihren Zeitmesser. »Fast vier
Stunden.«
»So lange wollte ich eigentlich nicht schlafen.« Er trat
zum Rand der Plattform und schlug, Dorthy und dem Hüter den
Rücken zugewandt, sein Wasser ab. »Wir fahren weiter. Du
kannst jetzt schlafen, Dorthy. Ich kann beim Rudern unseren Freund
bequem im Auge behalten.«
»Ich bin nicht müde. Ich habe ja nichts getan.«
»Unsinn.« Kilczers Stimme klang fröhlich. Er
wickelte sich wieder die Binden um die Hände und begann, nachdem
Dorthy das Tau gelöst hatte, gleichmäßig zu
rudern.
Hier und da wuchsen von schwarzer Vegetation bedeckte Felsen aus
dem Wasser fast senkrecht in die Höhe. Die Pinien auf ihren
Kuppen hoben sich deutlich vom dunklen Himmel ab. Die rote Sonne
schien direkt in den Canyon. Der Fluß machte eine Biegung um
eine Kiesbank. Dorthy hörte das Donnern und Brausen von Wasser
und sah im nächsten Augenblick den großen Wasserfall einen
halben Kilometer flußaufwärts, der über eine
Felskante, so glatt geschliffen wie Glas, in ein Becken stürzte,
über dem die Gischt wie ein Wolke hing. Ein leichter
Wasserschleier trieb bis zum Boot herüber und näßte
ihr Gesicht. Hinter ihr fluchte Kilczer und lenkte das Boot in eine
kleine Bucht. Holz scharrte über Gestein. Der Hüter fuhr
erschrocken herum, seine Kapuze wabbelte.
Kilczer streifte das Oberteil seines Overalls, an dem nur ein Arm
fehlte, über, reichte Dorthy das Gewehr und holte das Messer aus
dem orangefarbenen Beutel. »Gib mir Deckung«, rief er laut,
um das Brausen des Wasserfalls zu übertönen, und sprang von
der Plattform in den Bootsrumpf.
Der Hüter versuchte sich aufzurichten und trat dabei mit den
gefesselten Füßen um sich. Die Klauen rissen lange
Späne aus dem ungehärteten Holz.
Kilczer bückte sich und zerschnitt die Beinfessel.
»Verdammt, nun komm schon hoch. Auf die
Füße!«
Der Hüter drückte den Rücken gegen den Bug. Das
Gesicht hatte er in der Hautkapuze versteckt. Sicher glaubte er jetzt
sterben zu müssen. Kilczer faßte nach seinen gefesselten
Armen. Der Hüter trat erneut aus. Kilczer taumelte zurück
und prallte seitwärts gegen die Heckplattform…
Dorthy hob das Gewehr. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Aber der
Hüter verharrte unbeweglich und beobachtete sie
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