Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
obwohl sie genau wußte,
daß sie sich töricht verhielt. Zumindest aber hielt sie
damit einen kleinen Funken Hoffnung am Leben. Ein anderes Mal dachte
sie darüber nach, ihre Wanderung aufzugeben und als asketische,
keusche Einsiedlerin in diesem fremden, unirdischen Wald zu leben,
gestreifte Felle zu tragen und sich eine trockene Höhle
herzurichten, in deren Wände sie dann die Texte von Shakespeare
einritzen würde. Sicher zerbrachen sich dann die Herren dieser
Welt, sollten sie je auftauchen, den Kopf über diese fremden
Zeichen und die seltsam geformten Knochen ihres Gerippes, die sie in
der Höhle auffinden würden.
Dorthy sah das Unwetter auf sich zurasen. Schwärze
überzog den ohnehin dunklen Himmel und das trübe
schimmernde Antlitz der Sonne. Der Regen kam wie ein plötzliche
Sintflut, die Millionen silberner Speere durch die Äste der
Bäume auf den Boden regnen ließ, unter denen Dorthy Schutz
gesucht hatte. Aber sie hätte ebenso im Freien stehenbleiben
können, denn in Minutenschnelle war sie bis auf die Haut
durchnäßt und fror jämmerlich. Sie entschied sich
daher weiterzuwandern. Regentropfen schlugen ihr ins Gesicht, der
nasse Overall klebte auf ihrer Haut. Der Donner rollte dumpf durch
den hohen, lichten Wald. Blitze zuckten bläulichweiß.
Dorthy hatte sich inzwischen so an das matte Sonnenlicht
gewöhnt, daß sie vor den grellen Lichtpfeilen die Augen
zukneifen mußte, um nicht geblendet zu werden. Wind sprang auf
und schüttelte die Äste der Bäume, trieb ihr das
verfilzte Haar aus der Stirn. Eine plötzliche Heiterkeit
ließ Dorthy laut auflachen, und sie schrie Zitate und
geflügelte Worte in den heulenden Wind…
So plötzlich, wie es gekommen war, war es vorbei. Der Regen
verwandelte sich in ein leichtes Nieseln und versiegte
schließlich ganz. Leichte Dunstschleier stiegen vom feuchten
Boden auf. Es roch nach Pinien, nach Harz, nach den modernden Nadeln
unter ihren aufgeschnittenen Stiefeln. Aus den knorrigen Büschen
stieg ein bittersüßer Duft nach Honig und Terpentin in
ihre Nase.
Immer höher stieg Dorthy hinauf. Der Waldboden zeigte jetzt
häufiger blanken Fels. Dorthy erreichte ein Steilufer, das sich
hinter einem Knick des Canyons erhob. Von dort aus konnte sie den
langgestreckten Hang überblicken, den sie emporgeklettert war.
Der lichte Wald auf den braunen Bergflanken zeigte sich als
geschlossene dunkelgrüne Fläche, als dichtgedrängte
Armee von Pfeilspitzen, hier und da unterbrochen durch die tiefen
Einschnitte des gewundenen Canyons. In der Ferne lag der See wie ein
riesiger polierter Rubin, den eine überirdische Macht mitten in
den dunklen Wald geworfen hatte. Und noch weiter entfernt, am Rande
ihres Blickfeldes, dehnte sich die rote Fläche der Steppe, in
der ihre Wanderung begonnen hatte. Ich habe als einzige
überlebt…
Sie drehte sich um und marschierte weiter.
Manchmal sang sie dabei, und ihre dünne, klare Stimme schwang
sich auf in die weite Leere des Himmels.
Auf diese Weise ließ Dorthy die Baumgrenze hinter sich und
tauchte in die Wolkenschleier hinein. Der poröse Lavaboden wurde
zu hartem Fels. Hier wuchs nichts mehr außer niedrigen,
windzerzausten Pflanzen mit paddelförmigen Blättern und
moosartigen Rechten, die in großen Flecken den steinigen
Untergrund überzogen. Der Fluß strömte in einem
breiten, seichten Bett zwischen großen Felsen hindurch. Die
überdimensionale Sonnenscheibe schwamm wie ein trüber
Spiegel in den dichter werdenden Wolkenschleiern.
Der Fluß gabelte sich, und verzweigte sich erneut,
während Dorthy seinem Lauf folgte. Bisher war es keine Frage
gewesen, was Haupt- und Nebenarm war, doch wenig später
erreichte Dorthy den Zusammenfluß von zwei gleich breiten
Wasserläufen. Nach längerem Überlegen entschied sie
sich für den linken Zufluß. Erst nach über sechs
Kilometern Marsch wurde ihr klar, daß dies nicht der Fluß
sein konnte, dem Andrews mit dem Chopper gefolgt war, ehe er durch
den Paß in die Kaldera hineingeflogen war. Dorthy setzte sich
auf einen flachen Stein und schaute den Weg zurück, den sie
gekommen war. Große Felsbrocken lagen verstreut in der kahlen
Landschaft, der kleine Fluß plätscherte an moosbewachsenen
Steinen vorbei.
»Was ich jetzt brauche, ist eine gute Tasse Kaffee«,
sagte sie laut. »Gewöhnlich trinke ich drei oder vier
Tassen am Tag, vorzugsweise einen guten, starken schwarzen Java. Den
könnte ich jetzt wirklich vertragen – nicht dieses
verdammte Wasser da!«
Ihre Stimme
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