Alien 2: Verborgene Harmonien
das ganze Haus. Wie in der Diele sah es
auch in den anderen Zimmern aus: zertrümmerte
Einrichtungsgegenstände, umgekippte Möbel. Einmal
schoß etwas Kleines, Metallisches an Ricks Füßen
vorbei – eines der autonomen Geräte, die das Haus sauber
hielten.
Erst nach längerer Zeit wurde Rick bewußt, daß
von irgendwo Musik an sein Ohr drang. Nur undeutlich, überlagert
von dem künstlichen Sturm draußen, schienen die Töne
aus dem angrenzenden Zimmer herüberzuschweben, und es
währte eine Weile, bis Rick das Stück erkannte. Barbers Adagio. Das langsame, getragene Thema wechselte wie die
Wellen, die der Wind ins Gras des Buschlandes drückt, von
Instrument zu Instrument. Rick erinnerte sich an Lenas gespeicherte
Ahnen und fragte laut, ob jemand da sei.
Die Musik wurde lauter, als seien die Spieler durch die Tür
gekommen. Die Illusion war so stark, daß Rick sich
tatsächlich umdrehte. Doch nichts rührte sich in dem Raum
außer den Samtvorhängen an den zersplitterten Fenstern,
die sich im Wind bauschten.
Und dann, just in dem Moment, in dem sie das Crescendo erreichte,
brach die Musik ab. Die zitternde Stimme eines alten Mannes fragte.
»Wer ist da?«
»Richard Florey. Ein Freund von Lena.«
»Lena? Ach ja, das Kind. Es ist schon so lange her, verstehen
Sie?
Es wird allmählich schwierig, sich an alles zu erinnern, das
seit meiner Umwandlung geschehen ist.«
»Wer sind Sie? Wissen Sie, wo Lena ist?«
»Ich denke… Entschuldigen Sie, es ist so schwierig. Er
versucht, sich hierher durchzuwinden, doch bis jetzt konnte ich ihn
aufhalten. Aber er ist so stark, so hartnäckig. Sie fragten, wer
ich bin. Mein Name ist Antoine Vallee, junger Mann.«
»Lenas Ururgroßvater?«
»…von dem Kind, ja.«
Die schwankende Stimme war in dem windigen Haus kaum zu verstehen.
Rick blieb mitten in dem dämmrigen Zimmer stehen, schloß
die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Zum zweitenmal fragte
er. »Wissen Sie, wo Lena ist?«
»Die Polizei ist gekommen, hat die Lebenden weggeholt und die
Toten abgeschaltet – außer mir. Ich bin in das gesamte
Computersystem des Hause zugeschaltet, ich lebe in der Musik…
Wissen Sie, wie das ist, junger Mann?«
»Lena hat mir alles von Ihnen erzählt. Hat die Polizei
sie verhaftet?«
»Das Kind war nicht hier«, antwortete die Stimme.
Ricks Herz machte einen Sprung. »Wissen Sie, wo sie
ist?«
»Sie hat die Musik genommen. Das war schon immer unser Plan,
verstehen Sie? Die Musik war das Haus, oder das Haus die Musik. Aber
wir wußten immer, das Haus würde nicht ewig Bestand
haben.« Die Stimme wurde etwas kräftiger. »Jedenfalls
nicht, wenn es Krieg gibt. Ja, ich habe Zugang zu den Speichern der
anderen. Sie wußten, daß Fremde nicht in der Lage sind,
mich zu finden. Ich muß mich jetzt um ihre Pläne
kümmern.«
»Komme ich… in diesen Plänen vor?«
»Ich weiß nicht, ob Sie der sind, der Sie zu sein
vorgeben, junger Mann. Warten Sie einen Moment… Ja, ich habe es.
In den Salon, rasch. Sofort! Er bedrängt mich sehr
hart.«
»Was soll ich tun? Was erwarten Sie von mir? Und wer ist die
Person, von der Sie ständig reden?«
»So viele Fragen auf einmal, junger Mann. Warten Sie, bis Sie
eine Weile tot gewesen sind. Das wird Ihre Neugier sicher
zähmen. Sie müssen einen Test bestehen, wissen Sie? Das
steht alles in den Speichern. Gehen Sie jetzt in den Salon. Sofort.
Dort steht ein Keyboard. Ich glaube, Sie werden es intakt
vorfinden.«
Während Rick vorsichtig um die umgestürzten Möbel
herumging, fragte er in die Luft: »Aber wer ist es, vor dem Sie
sich fürchten?«
»Nun, da sind viele tote Geister mehr als nur die aus dieser
Familie. Sie haben ihre eigenen Pläne – und ihren Champion,
der sie ausführen soll. Er betrachtet uns als Abtrünnige,
die ausgeschaltet werden müssen. Haben Sie das Keyboard
gefunden?«
»Sicher.« Rick zog sich einen Stuhl heran und schaltete
das Instrument ein. Es war dasselbe, auf dem er damals Lenas Vater
eine Kostprobe seines Könnens gegeben hatte. Die
Leuchtkontrollen des Instruments warfen harte Schatten. »Was
soll ich spielen?«
»Was Sie wollen, junger Mann.«
Rick versuchte, trotz seiner Verwirrung einen klaren Gedanken zu
fassen. Ein Sturm, der um ein dunkles, zerstörtes Haus tobte, in
dem ein alter, ungeduldiger Geist lebte… er lächelte und
begann mit steifen Fingern die Eröffnungsakkorde von Beethovens
Klavier-Trio Der Geist’ zu spielen.
»Das genügt, Dr. Florey«, sagte die Stimme nach
einer Minute.
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