Alien 2: Verborgene Harmonien
Augen ist es ein Anfang.«
Ein Kranz aus Sternen
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Die Aborigines gehen zu zweit den Waldpfad entlang, rank und
schlank wie junge Bäume. Acht, zehn, zwölf, vierzehn von
ihnen. Schwaches orangefarbenes Sonnenlicht fällt in staubigen
Bahnen durch die Bäume, und die lederartige Haut der
Eingeborenen schimmert immer wieder auf, wenn sie in einen
Sonnenfleck treten. Jeder trägt einen kleinen Packen,
eingewickelt in ein dickes Geflecht aus Schilf oder Gras, auf der
Schulter, jeder Packen ist der Mittelpunkt einer Wolke wild
durcheinander tanzender Insekten.
Jeweils zu zweit passieren die Aborigines eine zerstörte,
ungleichmäßig hohe Mauer, die inzwischen mit Moos und
Flechten bewachsen ist. Nur noch die gerade Linie im Wald zeugt
davon, daß hier einmal ein Haus gestanden hat. Früher
standen hier einmal viele Häuser.
Nachdem die Aborigines verschwunden sind, schlüpft eine
kleine grüne Eidechse aus einem Spalt im Gestein, sucht sich
einen sonnenbeschienenen Flecken auf der Mauer und bläht die
Kehlkopfmembrane zu ihrem Gesang. Aber da kommt noch etwas den Pfad
entlang, viel lauter und weniger selbstverständlich als die
Aborigines. Die Membrane der Eidechse sinken zusammen, und im
nächsten Augenblick ist der Sonnenfleck wieder leer.
Wenige Sekunden später schieben sich zwei Menschen durch die
dicken Ranken, die auf den Pfad herunterhängen. Eine Frau und
ein kleiner Junge, etwa zehn Jahre alt.
»Aber woher willst du wissen, daß sie dorthin
gehen?« fragt der Junge. Sein Oberkörper ist nackt, Brust
und Rücken und Hände sind mit Erde und dem grünen
Schleim der Lianen beschmutzt. Es ist eben nicht einfach, die
Aborigines durch den Wald zu verfolgen. Ein Kranz aus den
leuchtendweißen Blüten des wilden Weins ist in seine
elfengleichen Locken gewoben. Im Gürtel seiner Jeans steckt ein
Messer.
»Weil sie jedes Jahr um diese Zeit dorthin gehen«, sagt
die hochgewachsene junge Frau geduldig.
»Warum?«
»Das werden wir später sehen.« Die Frau zieht am
Riemen ihres halbautomatischen Gewehrs. »Nun komm schon, Davey.
Wenn du mich weiterhin mit Fragen löcherst, wird alles schon
vorbei sein, ehe wir da sind.«
Der Pfad wird breiter, verläuft schließlich in einer
geraden Linie. Hier und dort brechen die Baumwurzeln durch die
Asphaltflächen der ehemaligen Straße. Durch die Bäume
schimmern die Wände der zerstörten Häuser.
Die Frau führt den Jungen zum Rand einer weiten Lichtung,
hinter der ein kleiner See den wolkenlosen Indigo-Himmel
widerspiegelt. Auf der anderen Seite erhebt sich ein sehr hohes
Gebäude aus dem Wald, weiß und rechteckig, zwei-, dreimal
so hoch wie der höchste Baum.
Die Frau preßt plötzlich die Hand auf des Jungen
Schulter und deutet nach vorn. »Dort drüben, Davey. Siehst
du sie?«
Die Aborigines hocken auf einer Betonplatte, die über den
Wasserspiegel hinausreicht, ihre Knie mit den doppelten Gelenken
ragen über die Köpfe hinaus, während sie vorgebeugt
die Grashüllen von ihren Packen lösen. Direkt unterhalb der
Platte stehen Pfähle im Wasser. Auf jedem steckt ein
länglicher Tierschädel, der mit einem roten Pigmentstreifen
bestäubt ist.
Die Frau zieht den Jungen neben sich auf die Knie und legt ihm
einen Finger auf dem Mund (sie ist ebenso schmutzig wie er, ihr
ärmelloses Hemd und die weiten Baumwollhosen sind an den Seiten
fleckig vom Schweiß), als er eine Frage stellen will.
»Schau erst einmal zu«, flüstert sie. »Wir
können später darüber reden.«
Der Junge nickt, plötzlich ist er ganz ernst. Er weiß,
dies ist wieder einer dieser Tests, die er aus irgendwelchen
Gründen absolvieren soll. Er macht es sich im Gras so bequem wie
möglich und schaut zu.
Die Aborigines haben ihre Packen ausgewickelt – nein, einer
hockt ein wenig abseits von den anderen, und sein Packen ist noch
fest verschnürt. Einer nach dem anderen heben die Aborigines die
blutigen Fleischstücke auf, die sie den ganzen weiten Weg
hierher getragen haben, treten an den Rand der Platte und schleudern
sie mit seltsam verdrehten Bewegungen weit hinaus ins Wasser. Erst
wenn der Vorgänger an den alten Platz zurückgekehrt ist,
beginnt der nächste das gleiche Ritual – alle, bis auf den
einen mit dem eingewickelten Packen. Draußen im See
schäumt das Wasser auf, als Tausende kleiner Fische durch die
größer werdende Blutlache schwärmen.
Alle Aborigines wenden ihre Blicke dem einen mit dem
ungeöffneten Packen zu. Er erhebt sich, und trotz der Entfernung
kann
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