Alien 2: Verborgene Harmonien
die ich mir mal gern ansehen würde, richtige
alte Bäume hoch oben in den Bergen. Vielleicht findet man dort
auch Fossilien. Ich möchte Baumringe zählen, die
Fossilien-Liste ergänzen und über die hiesigen Klimasysteme
nachdenken.«
»Merkwürdige Tätigkeiten, mit denen Sie Ihr
restliches Leben verbringen wollen. Entschuldigen Sie, daß ich
das sage.«
Rick hebt den Koffer. »Oh, ich habe ja noch das hier, um das
ich mich kümmern könnte. Ich muß ohnehin nach
Freeport, weil einer meiner Freunde dort herkam. Vielleicht
behält man mich ja da und gibt mir die Möglichkeit, eine
Bibliothek einzurichten, in der jeder nachlesen kann, was er wissen
will.« Vielleicht würden ihm die Leuten vom
Landwirtschaftlichen Institut helfen, dessen Leiter Rivington gewesen
war. Rick betrachtet dies als Angedenken an David de Ramaira, an
Jonah Rivington. Und vielleicht auch als Reminiszenz an Erde.
Die alte Frau sagt: »Nun, dann viel Glück, Mister. Aber
geben Sie acht, daß Sie nicht irrtümlich eine neue
Religion begründen. All dieses Wissen – gefährliches
Zeug!«
»Das brauchen Sie mir nicht zu erzählen.«
Sie folgen dem gewundenen Weg hügelaufwärts. Kies
glitzert im schwankenden Schein der Laterne. Über ihnen recken
sich die kahlen Äste der Bäume.
Nacht.
Miguel riecht die See, noch ehe er die Hügelkuppe erreicht
hat. Er tastet sich seinen Weg an den dünnen, blattlosen
Bäumen entlang. Ringsum liegt das Land in tiefer Stille. Der
Pfad verbreitert sich, und er erreicht die mondbeschienene Kuppe. Vor
ihm dehnt sich eine weite, sandige Bucht in sanftem Schwung. Ein
großes Lagerfeuer brennt dort unten. Durch die rötlichen
Flammen werfen die Gestalten der Leute, die um das Feuer lagern,
lange Schatten auf den hellen Sand. Einen Augenblick lang brechen
wieder die alten Instinkte durch, und der Dingo will sich schon
wieder unter die Bäume zurückziehen.
- Die Dinge haben sich geändert, Miguel. Jeder ist nun ein
Dingo. -
Es ist der Geist einer vertrauten Stimme, der da spricht.
Der Dingo sieht sich um. Dann erinnert er sich wieder, geht zum
Rand der Kuppe und schaut auf das Lagerfeuer hinunter. Draußen
auf dem Meer geht Cerberus unter. Seine fleckige Scheibe, nicht ganz
rund, küßt verhalten die Grenze zwischen Himmel und Meer.
Sein Schein läßt den Horizont aufleuchten.
Vielleicht kommen die Leute da unten aus der Stadt, vielleicht aus
den Siedlungen. In beiden Fällen wissen sie kaum etwas über
das Leben im Outback. Er denkt an den Draht in seiner Tasche. Er
könnte ihnen zeigen, wie man daraus Schlingen macht und
Kaninchen fängt, er könnte sie lehren, welche Pflanzen man
gefahrlos verzehren kann. Als Gegenleistung dafür würde er
sich schon mit einer Decke und einem festen Paar Stiefel
zufriedengeben. Es wäre ein fairer Tauschhandel. »Eine neue
Welt, was?« stellt er bei sich fest und steigt den
Hügelhang zu den Leuten hinunter.
»Hölle«, keucht Ella Falconer nach dem Aufstieg
außer Atem. »Sehen Sie sich nur all diese Feuer
an!«
»End’ der Wel’«, gibt der Hund seinen
Kommentar dazu. Unter ihnen dehnt sich die Stadt im Mondlicht.
Nirgends ein Licht, außer dem Flackern der zahllosen Feuer
– über hundert mindestens. Ein Großbrand wütet
am Kai. Die hohen Flammen spiegeln sich im schwarzen Wasser.
Rick und Ella Falconer starren eine ganze Weile schweigend auf das
Schauspiel. Der Hund hat sich zu Füßen der Alten auf den
Boden gelegt. Er ist nicht an der Zukunft interessiert, kennt nur den
immerwährenden gegenwärtigen Moment, ohne Grenze in den
nächsten übergehend, aus dem undefinierbaren Chaos
erwachsend.
Aber Rick versteht die Prozesse des Chaos, weiß, daß
es in jedem dynamisch unstabilen System – Klima, Blutkreislauf,
der menschlichen Gemeinschaft – Momente gibt, in denen die
kleinste Berührung, der kleinste Anlaß genügt, um es
aus dem Gleichgewicht zu werfen, es in einen neuen Zyklus eintreten
zu lassen. Ein Wort, ein Atemzug, die unmerkliche Bewegung der Luft
durch einen Schmetterlingsflügel. Selbst ohne Auslöser
konnten sich Systeme verändern. Zum Beispiel das
Femtowatt-Signal, das nie kam – und jetzt die brennende
Stadt…
»Wenn wir die Sachen morgen nicht wegschaffen«, sagt die
alte Frau schließlich, »bleibt nur noch Asche davon
übrig. Was wir da unten sehen, junger Mann, ist das Ende einer
Ära. Etwas, von dem Sie später Ihren Kindern erzählen
können.«
»Ich sehe es nicht als ein Ende«, gibt Rick leise zur
Antwort. »In meinen
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