Alien 4: Die Herren der Erde
Ufersand entdeckt.
Karl, ein schlaksiger blonder Junge von etwa zwanzig Jahren,
wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete die
Spuren. Flach und zum Teil schon ausgespült, zeigten sie das
typische Waffelmuster von Schuhen aus der Vorzeit. Der junge Mann
empfand keinerlei freudige Erregung bei seiner Entdeckung, keinerlei
Stolz. Nachdenklich starrte er ins Wasser. Nach einem Augenblick rief
er die anderen herbei.
Anaxander schob nervös seine schwarzen Elfenlocken aus den
Augen, musterte kurz die Spuren und tanzte dann mit seligem Gebabbel
– »ulula-ulu-la-la« – davon, drehte sich mehrmals
um seine Achse und lauschte angespannt dem Trillern eines Vogels im
Wald über dem Fluß. Shem dagegen stützte die
Hände auf die Knie seiner Jeans und betrachtete stirnrunzelnd
Karls Entdeckung: armer, langsamer, geduldiger Shem.
Er sei vor seinem Fehltritt, durch den er den Zorn der Umwandler
auf sich zog, der beste Jäger von allen gewesen, hatte Karls
Mutter behauptet. Die Umwandler hatten seinen Intellekt gebrochen und
ihm nur noch den dumpfen, kritiklosen Gehorsam eines Hundes belassen.
Karl konnte nie erfahren, was Shem eigentlich angestellt hatte. Die
anderen Jäger vermieden es geflissentlich, darüber zu
reden. Selbst seine sonst so redselige Mutter wurde bei diesem Punkt
schweigsam wie ein Grab. Und jetzt war sie gegangen, ausgeschickt von
den zornigen Umwandlern, die die Jägergilde beauftragt hatten,
die letzten Urwesen in den Regenwäldern an der nordpazifischen
Küste aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.
»Dieses hier ist nicht sehr groß«, sagte Karl
kurz. »Es hat etwa mein Gewicht, vielleicht auch etwas
weniger.«
»…vielleicht«, antwortete Shem nach mehreren
Anläufen und blinzelte wegen der Sonnenstrahlen, die das rasch
dahintanzende Wasser reflektierte. Schweiß stand auf der
scheckigen Tonsur, die sich tief in das rote Haar hineinschob.
»Mach es diesmal aber rasch und sauber, Junge, ohne großes
Palaver vorher. Tu es einfach – sofort.«
»Über die Vorzeit zu sprechen schadet doch keinem«,
erwiderte Karl lächelnd und war sich dabei seiner Macht
über den älteren Mann deutlich bewußt.
»…vielleicht. Ich weiß es nicht, Junge.«
Karl schlug mit der Hand nach einer Mücke. »In diesem
Fluß wohnt eine Undine, richtig? Wir sollten sie rufen, denke
ich.«
»…denke ich auch«, wiederholte Shem, während
Anaxander eine kleine Holzflöte aus dem Gürtel zog und die
Tonfolge des Vogelliedes spielte, das er gerade gehört
hatte.
Karl ging in die Hocke und kratzte mit seiner Ahle mühsam die
notwendigen Zeichen auf einen großen Kieselstein. Dann richtete
er sich auf und schleuderte den Stein in die stärkste
Strömung hinein. Im nächsten Moment begann das
flaschengrüne Wasser an dieser Stelle zu kochen, weiße
Gischt wirbelte auf. Ein Arm, so lang wie Karls Körper,
durchbrach die Oberfläche, eine riesige Hand spreizte die Finger
und zeigte die Schwimmhäute dazwischen. Eine Kralle, gebogen wie
der Dorn einer Rose, krönte jede Fingerspitze. Dann tauchte das
Gesicht der Undine mit seinen nichtmenschlichen Zügen aus der
Flut. Das Haar, das aussah wie Seetang, hing ihr in wirren
Strähnen vom Kopf. Es folgten Schulter und Brüste, so glatt
und weiß wie die Kiesel im Flußbett. Wasser sprudelte aus
den Kiemen am Hals.
Die Undine vollführte im Wasser eine Körperdrehung und
wandte sich den Jägern zu. Aber sie konnte ihnen kaum etwas
berichten. Ja, erwiderte sie auf Karls Fragen, ja, das Urwesen habe
an diesem Morgen vom Wasser des Flusses getrunken – kurz nach
Anbruch der Dämmerung. Ja, es sei nur eine Person gewesen, die,
nachdem sie ihren Durst gestillt hatte, sich umgedreht habe und den
Hang emporgestiegen sei.
Mehr wußte die Undine nicht zu berichten. Karl dankte ihr,
und sie sank in die Fluten zurück. Ihr Haar schwamm einen kurzen
Moment auf der Oberfläche, nachdem das Wasser über ihrem
Kopf zusammengeflossen war. Danach unterbrachen nur noch das Rauschen
des Flusses und das Zwitschern der Vögel in den grünen
Wäldern die Stille.
»Gehen wir«, meinte Karl und schulterte wieder seine
Deckenrolle. »Dort oben müßten deutliche Spuren im
Unterholz zu finden sein. Der Boden ist so naß, daß man
das Wasser mit dem Absatz zum Sprudeln bringen könnte. Was ist
los, Ax?«
Anaxander deutete zum anderen Flußufer hinüber. Karl
beschattete die Augen und beobachtete, wie ein Reh mit anmutigen
Bewegungen zum Flußufer strebte, den Kopf senkte und trank.
»Ich
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