Alien Earth - Phase 1
gewöhnt. Und Wolf lag ihm im Magen.
»Gut. Dann komm mit. Wolf wartet schon!«
Der Gardist führte ihn an das andere Ende des Zugs, in eine Art Vorraum. Wieselflink nahm seine Umgebung wie aus weiter Ferne wahr. Was konnte Wolf von ihm wollen? Was konnte ihn so wichtig für das Große Pack machen? Wieselflink fühlte sich eingesperrt, ihm war, als laste die Decke des Zuges auf ihm.
»Zieh das an!«
Der Gardist hielt ihm einen Pelzmantel entgegen.
»Wieso? Mir ist nicht kalt.«
»Das kommt noch. Tu, was ich dir sage.«
Wieselflink zog den Pelzmantel an. Er roch nach Tier und Schweiß. Der Gardist wandte sich ab, flüsterte etwas, dann nickte er. Auf seiner Datenbrille musste die Rückmeldung eingetroffen sein.
Er wandte sich wieder an Wieselflink: »Wolf empfängt dich jetzt!«
Der Gardist öffnete die Tür für ihn - schwer und gepanzert wie alle Türen dieses Zugs -, und Wieselflink trat in das Innerste von Wolfs Reich. Es stank. Ein strenger Geruch hing in der Luft, der Wieselflink an einen Zoo erinnerte. Der stählerne Boden war mit Stroh bedeckt. Es war kalt. So kalt, dass sein Atem Wolken bildete.
Der Raum besaß keine Einrichtung, bis auf ein Stehpult an einer Wand. Und gegen dieses Stehpult gelehnt, mit dem Rücken zu Wieselflink, stand ein … ein haariges Etwas. Das Etwas wandte sich um und blickte Wieselflink aus hellen, klaren Augen an.
Es war Wolf.
Wolf war ein Wolf.
Und ein Mensch.
Er stand aufrecht. Er besaß die Beine, die Geschlechtsteile
und den Unterkörper eines Menschen, wenn auch so stark behaart, dass Wieselflink die Behaarung einen Pelz genannt hätte. Wolfs Brust war eingefallen und schmal, seine Arme waren Ärmchen, der Hals so dick wie die Brust. Der Kopf war der eines Wolfes, breit, mit spitzen Ohren und einer spitzen Schnauze - und zugleich der eines Menschen. Wie bei den toten GenMod-Katzen, denen er die implantierten Schnittstellen aus den Schädeln gebrochen hatte, kam es Wieselflink vor, als hätte man das Gesicht eines Menschen wie eine Folie über das Tiergesicht gelegt. Den einen Moment sah man hin und hatte einen Wolf vor sich, dann blinzelte man und hatte einen Menschen vor sich.
»Hallo, ich bin der große, böse Wolf!«, sagte Wolf und heulte. Und fügte hinzu, bevor Wieselflinks wackelige Knie die Gelegenheit hatten, unter ihm einzuknicken: »Keine Angst, das ist nur ein Scherz, um das Eis zu brechen. Das erste Treffen mit Menschen ist erfahrungsgemäß problematisch.«
Wolf besaß ein Raubtiergebiss, aber es war nicht sichtbar, wenn er sprach. Seine Stimme war angenehm, vielleicht etwas dünn - eine Folge des kleinen Brustkorbs? -, und hätte Wieselflink ihr mit geschlossenen Augen gelauscht, er hätte nie geahnt, was er vor sich hatte.
»Du … du bist ein …«
»Wolf? Wie du siehst. Ein Mensch? Das auch. Ich trage Gene beider Arten in mir, wenn es dich interessiert. Mich tut es das allenfalls am Rande. Körperlichkeit wird allgemein überschätzt.«
»Das … du …«
Wolf schüttelte tadelnd den Wolfsschädel, und obwohl er einen Kopf kleiner war als er selbst, kam es Wieselflink vor, als tue er dies von oben herab, aus einer mentalen Position der Überlegenheit, die unangreifbar war. »Ihr Menschen. Ich verstehe euch nicht. Ihr seid alle gleich. Gleich fassungslos. Ihr nehmt euch heraus, Gene nach euren Launen zusammenzuwerfen. Ihr lasst euch von euren selbst gemachten Geschöpfen die Möbel abstauben, ihr schlachtet sie, ihr schickt
sie in den Krieg. Ihr versetzt ihnen Tritte und Schlimmeres, wenn euch danach ist, oder ihr spritzt über ihnen ab. Und dann seid ihr überrascht, wenn eines von ihnen die logischen Konsequenzen daraus zieht und sich an die Spitze der Befehlskette stellt, anstatt sich sein kurzes, elendes Leben lang von der Kette prügeln zu lassen?«
Was ging hier vor? Wieselflink hatte einen von der reinen Lehre abgefallenen Alienisten erwartet, einen alten Offizier, der es nicht hatte verwinden können, keine Befehle mehr geben zu dürfen, oder auch nur einen gewöhnlichen Verrückten oder Verbrecher. Er hatte erwartet, dass Wolf ihn befragte, ja verhörte, ihn als den Betrüger, der er war, bloßstellte. Und nun …
»Weshalb hast du mich zu dir bestellt?«, fragte Wieselflink.
»Um dich persönlich kennenzulernen. Ich will alle kennen, die für mich arbeiten. Ihren Stallgeruch schnuppern, wenn du so willst. Wenn es möglich wäre, würde ich alle Angehörigen des Großen Packs kennenlernen wollen. Aber das ist aus praktischen
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