Alien Earth - Phase 1
Rein in den Sitz, und behalt deine Finger bei dir!«
Rudi blieb die nächsten 38 Stunden im Sitz und behielt seine Finger bei sich. Alle paar Stunden kratzte er den Mut zusammen, aufzustehen und unter den »Weichei!«-Blicken Dianes mit mörderisch prickelnden, eingeschlafenen Beinen zur Toilette im Heck der Bitch zu stapfen. Dann hockte er auf dem viel zu kleinen Sitz, bohrte die Knie in die Plastiktür und fragte sich, womit er dieses Schicksal verdient hatte und ob er nicht besser in Himmelsberg geblieben wäre. Dort hatte es nur Latrinen gegeben, in denen die Exkremente der Gemeinschaft zu Dünger für die Felder faulten, und sie hatten noch viel schlimmer gestunken als die Toilette der Bitch , aber wenigstens hatte man so oft ein Geschäft machen können, wie man wollte, ohne dass einen jemand schräg ansah. Und die Knie waren dabei heil geblieben.
Rudi behielt sein Display im Auge. Er fasste es nicht an, aber er sah genau hin. Und sobald er etwas sah, rief er es hinaus. Nach dem zehnten Mal - Rudi hatte sieben Hybridsegler, einen Vogelschwarm, ein Verkehrsflugzeug, eine amerikanische Drohne und null Artefakte gesichtet - erhob sich Wilbur von seinem Platz, ging neben ihm in die Hocke, legte ihm eine Pranke auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Das ist genug, Junge. Ich verstehe ja, dass du aufgeregt bist, aber noch so ein Schrei, und du gehst über Bord. Verstanden?«
Rudi nickte und hielt von diesem Moment an den Mund. Seine Zeit in Himmelsberg, das auf Gehorsam und Sanktionen setzte, wo Hingabe an die Sache nicht ausreichte, hatte ihm ein feines Ohr für Drohungen verschafft. Wilbur meinte es ernst.
Rudi saß steif in seinem Sitz, getraute sich kaum, die Arme auf den Lehnen abzulegen, und schimpfte sich in Gedanken für den Trip nach Neo-Bangkok - um Engeln nachzujagen! -
als den größten Trottel des Universums. Er stellte sich vor, wie es sich anfühlen würde, mit seinen Zimmergenossen zu fliegen, in einem echten Flugzeug, vielleicht sogar einer Pemburu, und nicht in einem vorzeitlichen Relikt, und mit echten Kameraden, anstatt mit Leuten, die ihm ungefähr dieselbe Beachtung schenkten wie den Kabinenlichtern.
Rudi beneidete alle Flyboys dieser Welt. Sie hatten es besser als er, es musste einfach so sein. Der lebende Beweis saß neben ihm.
Diane flog die Bitch eigenhändig, wechselte das Steuerhorn zwischen der linken und der rechten Hand, je nachdem, ob sie eine Zigarette rauchte oder an ihrer Wasserflasche nuckelte. Soweit Rudi es beurteilen konnte - gnädigerweise gelang es ihm, hin und wieder wegzunicken -, überließ Diane während der gesamten 38 Stunden nur ein halbes Dutzend Mal dem Bordrechner die Steuerung. Drei Mal, um selbst auf die Toilette zu gehen. Drei andere Male, um die Bitch , ihre Kameraden, die Company und die ungerechte Welt ausführlich zu beschimpfen, als unerklärliche Radarreflexe sich nicht als die erhofften Artefakte, sondern als Störungen oder Verkehrsflugzeuge erwiesen.
Die übrige Zeit tanzte sie. Es war keine fliegerische Disziplin, die man Rudi im Company-Lager bewusst vorenthalten hatte, sie war den Ausbildern schlicht unbekannt gewesen. Tanzen war die Spezialität der Bitch und ihrer Mannschaft, ihre ganz persönliche Chance - hofften sie - auf ein Artefakt. Niemand sonst tanzte über Ozeanien.
Tanzen hieß segeln. Unter anderem. Den dicken Hintern der Bitch - wie Wilbur ihn nannte, der das als Einziger ungestraft tun durfte - in Thermik zu baden, die schwere Propellermaschine wie einen leichten Segler zu fliegen. Mit ausgeschalteten Triebwerken, um Kerosin zu sparen. Mit dem Wind, wenn es darauf ankam, Strecke zu machen. Gegen ihn, wenn es darauf ankam, an Ort und Stelle zu bleiben.
Tanzen hieß, alle Pläne und Vorhaben in einer Augenblicksentscheidung über Bord zu werfen, wenn Rodrigo, der
Lauscher der Bitch , einen viel versprechenden Infobrocken oder einen Radarreflex aufschnappte.
Tanzen hieß, aus 10.000 Meter Höhe wie ein Stein dem Meer entgegenzufallen und die Maschine knapp über den Wellen abzufangen.
Tanzen hieß, eine halbe Stunde mit Höchstgeschwindigkeit in eine bestimmte Richtung zu fliegen, dann umzukehren, in die Gegenrichtung zu fliegen, wieder umzukehren, wieder umzukehren und wieder umzukehren, bis man nicht mehr wusste, wo einem der Kopf stand und was, zum Teufel, man hier draußen eigentlich trieb, über diesem endlosen Meer, das eine Welt für sich darstellte. Und zwar eine, wie der Quasi-Nichtschwimmer Rudi spürte, die
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