Alien Earth - Phase 3
irgendwie abwesend. Als wäre er in Gedanken längst wieder bei dem Patronenschiff, das sie nach dem Angriff der Seelenbewahrer eingefangen hatten, und zählte die Minuten, bis sie Wilbur tief genug von der Spitze seiner Empörung heruntergeholt hatten, dass er ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen würde. Was war nur los? Wo waren seine Kameraden geblieben, denen er blind sein Leben anvertrauen konnte?
»Das meine ich nicht!« Rodrigos Versuch, ihn mit billiger Schmeichelei abzuwiegeln, brachte Wilbur nur noch mehr auf. »Ich meine das da!« Er zeigte durch die Cockpitscheibe auf die Erde. Sie war klar und ungefiltert zu sehen.
Die Erde sah nicht gut aus. Seit dem Angriff der Seelenbewahrer hatten sich an Dutzenden Stellen dunkle Wolken gebildet. Winde zogen sie in die Länge, Hunderte, manche sogar Tausende Kilometer weit. Die längste erstreckte sich mittlerweile über den halben Atlantik und ging von dem Punkt aus, an dem sich bis vor zwei Wochen noch die brasilianische Millionenstadt Recife befunden hatte. Dann war ein Wrackstück des zerstörten Alien-Schiffs auf die Stadt herabgestürzt und hatte dort einen zweihundert Meter tiefen und zwei Kilometer durchmessenden Krater geschaffen. Recife war der schlimmste Einschlag, vorerst. Aber niemand konnte sagen, wie viele Wrackstücke noch auf die Erde niedergehen würden, und niemand, so schien es, auch nicht die Seelenspringer, war in der Lage, das Bombardement aufzuhalten.
Vor dem Angriff hatte Wilbur oft Stunden damit verbracht, zur Erde zu sehen. Der Anblick hatte ihn mit einer unbestimmten Ruhe erfüllt, ähnlich wie wenn man in ein Kaminfeuer sah. Er war ihm zeitlos erschienen, beständig. Seit dem Angriff mied er den Blick. Und wenn er ihn doch wagte, war ihm zum Heulen.
Nicht so Rodrigo und Hero.
Wilbur bezweifelte, dass sie den Anblick überhaupt bemerkt hatten, so unberührt ließ er sie. Rodrigo hatte die meiste Zeit die Augen ohnehin geschlossen, war in Gedanken woanders. Er - was war der passende Begriff? Seine Gedanken? Seine Seele? Sein Ich? - hatte sich im Abwehrnetz der Seelenspringer ausgebreitet. Dort lebte er. Dort sorgte er dafür, dass Pasongs Artgenossen die Superhero nicht mit einem gezielten Schuss ihrer elektromagnetischen Kanone vom Himmel holten. Wo immer er genau stecken mochte, Wilbur war klar, dass Rodrigo in anderen Sphären weilte.
Und Hero? Der Japaner kam nur noch auf die Superhero , um zu essen oder sich zu erleichtern. Die übrige Zeit verbrachte er auf dem Patronenschiff, das sie unmittelbar nach dem Angriff an die Superhero angedockt hatten. Wilbur hatte keine Ahnung, was Hero dort trieb - er bekam keinen Kamerakanal mehr dorthin geschaltet, so sehr er sich auch bemühte - er wusste nur, dass der Japaner etwas trieb. Das Schlagen, Schleifen und Rumoren, das sich von Rumpf auf Rumpf übertrug, ließ keinen Zweifel daran. Einmal hatte Wilbur versucht, persönlich nachzusehen. Wieso auch nicht? Sie waren alte Kameraden. Ein kleiner Freundschaftsbesuch war das Normalste der Welt. Rodrigo hatte sich Wilbur in den Weg gestellt, kaum hatte er seinen Sitz verlassen. »He, Mann, was fällt dir ein?«, hatte er gerufen. »Wir brauchen dich hier als Piloten. Jeden Moment kann es wieder losgehen - oder glaubst du im Ernst, dass die Seelenbewahrer so einfach aufgeben?«
Nein, das tat Wilbur nicht. Ebenso wenig, wie er daran glaubte, dass er in irgendeiner Weise eine wichtige Rolle an Bord der Superhero spielte. Wilbur war überflüssig, ein Störfaktor in den Plänen seiner Kameraden. Deshalb hatten Rodrigo und Hero sie im Geheimen geschmiedet. Sie hatten von Anfang an gewusst, was er davon halten würde: nichts.
»Die Erde brennt«, wandte sich Wilbur wieder an die beiden Männer, die er immer noch seine Kameraden nannte, »und
was fällt euch dazu ein? Ihr schraubt an einem Patronenschiff herum!«
»Du übertreibst«, widersprach Hero. »Die Wolken, die du siehst, sind keine Rauchwolken, sondern Staub, der beim Aufprall der Trümmerstücke in die Luft gewirbelt wurde. Nur ein kleiner Teil der Wolken erreicht die höheren Schichten der Atmosphäre und wird länger Bestand haben. Die übrigen werden sich innerhalb von Tagen auflösen.«
»Das ist ein schöner Trost für die Leute, die ein Trümmerstück in ihre Atome zerschlagen hat!«
»Was willst du damit andeuten, Wilbur?« Hero stemmte die Arme in die Hüften. Der Vorwurf ließ ihn nicht unberührt. »Glaubst du etwa, dass es uns kalt lässt, was mit der Erde
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