Alien Earth - Phase 3
59b und seine Herde gehören zu einer der letzten Gruppen von Smarties, die nach Feuerland gekommen sind. Er und seine Kameraden haben noch nicht genug Zeit in Neurobeschleunigung verbracht, als dass sie betroffen wären. Außerdem gibt es keine sichtbare Alterung, das Herz des betroffenen Smarties setzt einfach aus.«
»Hat es das denn bei anderen schon getan?«
Pinero nickte. »Ich schicke inzwischen täglich mehrere Dutzend Smarties mehr tot als lebendig in die Stasis. In der idiotischen, vergeblichen Hoffnung, dass man ihnen eines Tages helfen kann. Ich weiß, dass es nichts nützt, aber ich kann nicht anders. Ich kann nicht einfach nur zusehen, wie sie sterben.« Der Arzt hob den Kopf, sah Melvin in die Augen. »Die Wahrheit ist: Die Seelenspringer benutzen die Smarties, die Seelenspringer benutzen dich und mich - und in einem halben Jahr wird es keine Smarties mehr geben. Doch ich kann nicht einfach nur zusehen.«
»Was willst du dagegen tun?«
»Ich? Was kann ich schon ausrichten? Ich bin nur ein versoffener alter Tierarzt auf Entzug. Ich flicke Dinge zusammen, so gut es geht. Das ist alles, was ich kann. Die Smarties spüren es. Sie verehren mich, aber sie wissen, dass ich bestenfalls zum Halbgott tauge. Im Gegensatz zu dir, Melvin.« Eric Pinero lehnte sich vor. Er griff sich an die Brust und umklammerte sein Kreuz. »Du bist ihr Hirte, ihr Moses. Du hast sie aus der Knechtschaft der Menschen nach Feuerland geführt, Melvin - und du musst sie jetzt aus der Knechtschaft der Seelenspringer in das wahre Gelobte Land führen!«
Der Arzt schenkte sich ein, trank das Glas in einem Zug leer und bekreuzigte sich.
Behmann hat recht.
Die Munition der Gewehre bricht die Körperpanzer der Hunter.
Von meinem Fenster aus habe ich einen guten Ausblick. (Behmann brüllt mich wie ein Verrückter an, ich hätte den Verstand verloren und solle gefälligst in Deckung gehen. Ich ignoriere ihn.) Hunter erstarren in der Bewegung, wenn der erste Schuss ihnen schlagartig die Luft raubt. Einen Augenblick lang scheint die Zeit stillzustehen. Dann erkennt der Zielcomputer des TAR-21 den Treffer und löst automatisch eine Salve aus, pumpt das gesamte Magazin in das Loch, das der erste Schuss in den Körperpanzer gerissen hat.
Der Körper des Hunters explodiert. Blut und zerfetztes Fleisch fliegen aus den Öffnungen des Körperpanzers, dann klatscht zu Boden, was eben noch ein Mensch gewesen ist. Es ist ein furchtbarer Anblick. Mein Magen stülpt sich dabei um. Aber ich sehe nicht weg. Ich habe mein Leben lang genau hingesehen. Wieso sollte ich gerade jetzt, da meine letzten Minuten angebrochen sind, den Blick abwenden?
Ich will alles sehen. Ich habe alles gesehen.
Ich wünschte nur, dass ich das Gesehene früher verstanden hätte.
Aber das hätte mehr als eines Menschen bedurft, mehr als ich bin. Niemand hat verstanden. Natürlich nicht. Es war unmöglich. Unsere Prämissen waren falsch.
Die erste war: Alles, was die Aliens tun, dreht sich um uns. Vermessen, nicht? Sieht man den Satz so vor sich, ist es offensichtlich. Aber wir haben uns nie die Mühe gemacht, ihn uns vor Augen zu halten. Stattdessen haben wir blindlings um uns geschlagen - und in unserer Panik übersehen, welche der Handlungen der Aliens sich auf uns Menschen bezogen haben und welche nicht.
Und die zweite: Wir haben die Aliens auf ein Podest gehoben. Was verzeihlich ist. Ihr Schiff im Orbit, die Alien-Insel, die gewaltigen Luftfische, die seit einiger Zeit ungestört unseren Himmel bevölkern - ihre Technik ist märchenhaft, pure Magie. Wir haben auf sie gestarrt wie das Kaninchen auf die Schlange. Dabei ist uns entgangen, wie sie unser eigenes Wesen gegen uns gekehrt haben. Wie kommt es, dass die Erde plötzlich mit Sturmgewehren überschwemmt ist? Mit religiösen Endzeiteiferern? Woran liegt es, dass urplötzlich buchstäblich jede separatistische, jede ethnische Minderheit, jede - tatsächlich oder eingebildet - benachteiligte Gruppe dieses Planeten loszieht und mordet?
Es ist, weil die Aliens uns tatsächlich voraus sind. Sie haben verstanden, was wir selbst wohl niemals verstehen werden: das Wesen des Menschen.
Sie benutzen es, um …
(Ich muss unterbrechen. Behmann wurde getroffen.)
- Auszug aus dem Notizbuch des Bernhard Ratschik, vormals ebenso gefeierter wie umstrittener Alien-Prediger, abgetaucht am 30. Juni 2066. Das Notizbuch wurde am 21. Dezember 2066 neben der Leiche Ratschiks
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