Alison Wonderland
und der frischen Luft liegen.
Taron und ich suchen uns einen Platz zum Sitzen an der Rückseite des Schwimmbeckens hinter dem Kinderspielplatz und dem Café, wo es einen Grasbereich und einige Bäume gibt. Dieser Platz ist sehr beliebt bei jungen Familien, wohingegen Singles meistens an den Seiten des Schwimmbeckens bleiben, wo das Wasser die Sonne reflektiert und man schneller braun wird. Neben uns auf dem Gras machen Frauen Picknick. Sie raten ihren Kindern, in die Büsche zu »pieseln«, anstatt zu den Toiletten zu laufen, die sich ganz bequem direkt neben dem Becken befinden. »Musst du Kacka machen?«, fragen sie ihre Kinder. »Wenn du Kacka machen musst, dann ziehe ich dir wieder die Windel an.« Als ob es vorzuziehen ist, Scheiße gegen die Haut der Kinder zu quetschen, anstatt sie zur Toilette zu bringen und ihnen beizubringen, sie zu benutzen.
Es gibt heute im Lido nur gleichgeschlechtliche Gruppen, wenn man die kleinen Jungs mit ihren Müttern als geschlechtslos bezeichnen will. Die meisten von ihnen sitzen im Gras, trinken Lager und rauchen Gras, während die Kinder mit aufblasbaren Spielsachen zwischen weggeworfenen Pflastern im Wasser spielen. Ein paar junge Männer sitzen unter den Bäumen in unserer Nähe. Weil sie keine Kinder haben, beschäftigen sie sich damit, männliche Spiele wie Fußbälle kicken und Frisbee zu spielen. Wenn sie die Frisbee-Scheibe nicht fangen und sie in der Nähe der Mütter auf den Boden fällt, dann schimpfen die Mütter mit den jungenMänner. Einigermaßen freundlich zwar, trotzdem wirkt es seltsam, weil sie ungefähr im selben Alter sind.
Während die Züge vorbeidonnern, nehmen Taron und ich die anderen Menschen unter die Lupe, spekulieren über deren Beziehungen und diskutieren ihr Aussehen. Wir stellen bei den Frauen einen Zusammenhang fest zwischen welkender Haut und hängenden Brüsten und dem gewagten Schnitt und Glanz ihrer Bikinis. Alle jungen Frauen, die nicht schwanger sind, tragen entweder Badeanzüge von Speedo oder solche im Fünfzigerjahre-Stil, die ihre Schamgegend verstecken. Ältere Frauen tragen String-Bikinis aus falscher Schlangenhaut, deren Schnitt genau bis unterhalb dieser Bauchtasche geht, da, wo die Muskeln nach den Schwangerschaften ihre Elastizität verloren haben, sich silberne Bäche von Dehnungsstreifen befinden, die von oben nach unten über die Haut laufen oder sich wie Kornkreise um den Bauchnabel schlängeln. Ich zeichne ein Mengendiagramm auf die Innenseite des Umschlags von D. H. Lawrences Kurzgeschichten, die ich zum Lido mitgebracht habe, unternehme aber keinen Versuch, sie zu lesen.
Kapitel 9 – Tarons Mutter
Tarons Mutter ist eine sehr schöne Frau mit dunklen Haaren und sieht ein bisschen aus wie Ava Gardner zu ihren Glanzzeiten. Es gibt keinerlei äußere Anzeichen, dass sie eine Hexe ist. Sie verlässt selten das Haus und hat sich heute besondere Mühe mit ihrem Äußeren gegeben. Sie trägt ein elegantes, gut geschnittenes Jerseykleid für ihren Ausflug zum Postamt, wo sie eine Steuerplakette für ihr Auto kaufen will. Sie ist ziemlich stolz darauf, dass sie in der Vergangenheit niemals Briefmarken benutzen musste. Wenn sie eine Nachricht an jemanden irgendwo auf der Welt schicken wollte, sendete sie übersinnliche Postkarten, indem sie ganz stark an die Nachricht, die sie übermitteln wollte, dachte. Wegen der Anstrengung, die das Übermitteln von Informationen auf diesem Weg kostete und der nicht immer gleichen Fähigkeit des Empfängers, diese entschlüsseln zu können, konnte sie immer nur oberflächliche Botschaften im Umfang einer Postkarte verschicken. Tarons Mutter empfand das als sehr kräftezehrend, weshalb sie froh ist, diese Art der Kommunikation inzwischen größtenteils mit Internet, E-Mail und Mobiltelefon zu ersetzen. Seit Einführung des Vierundzwanzig-Stunden-Bankings muss sie noch nicht einmal mehr das Übersinnliche benutzen, um ihren Kontostand abzufragen, was eine enorme Menge ihrer Energie spart.
Auf dem Rückweg von der Post überkommt sie eine Vorahnung. Sie nimmt ihr Mobiltelefon heraus und versucht ihre Tochter anzurufen, erreicht aber nur die Mailbox. Sie steht ganz still, mitten auf der Hauptstraße, schließt ihre Augen und berührt mit einer Hand ihre Schläfe. Sie empfängt etwas Unheilvolleres als eine übersinnliche Postkarte. GEFAHR, denkt sie. GEFAHR. GEFAHR. Sie muss eine Nachricht senden. Anders als bei E-Mails, kann sie keine Empfangsbestätigung an ihre Nachricht anhängen, so
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