Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
wäre ihm übel.
»Sieh mal«, sagte Nutzlos sichtlich genervt. »Wenn du unweigerlich verwildern müsstest, wäre das inzwischen schon geschehen.«
»Alissa ist auch nicht sofort verwildert«, widersprach er, und Nutzlos funkelte ihn an, bis er die Augen niederschlug.
»Bein und Asche«, hörte Alissa Nutzlos vor sich hin brummen. »Jetzt muss ich ganz allein zwei Kleinkinder großziehen.« Er richtete sich auf. »Also!«, rief er und klatschte in die Hände, so dass Alissa und Connen-Neute zusammenzuckten. »Nun, da wir alle wieder bei klarem Verstand sowie bei Bewusstsein sind – wollen wir zur Feste zurückkehren?«
Niemand sagte etwas, und Alissa blickte von der schwarzen Wiese auf. Sie warteten auf ihre Antwort. »Hm? Oh!« Ihr Blick kehrte zu dem Gras zurück, das sacht im Wind wogte. Der Wind kam von Osten, genau, wie es sein sollte. »Geht ruhig.« Sie zog ihre Decke fester um sich. »Ich muss – äh – ich komme dann nach.«
Strell setzte sich wieder hin und hatte offenbar vor, bei ihr zu bleiben. Seine Augen wurden schmal, als Connen-Neute ihn auf die Füße zog. Er wurde noch zorniger, als der junge Meister flüsterte: »Lodesh.« Auch Nutzlos blickte finster drein, als werde er gleich darauf bestehen, ihr suchen zu helfen.
Alissa schürzte die Lippen. »Ich sagte, ich komme dann nach.«
Nutzlos baute sich vor ihr auf, rückte seine Weste zurecht und machte keine Anstalten, sich von der Stelle zu rühren.
»Es ist ihr gutes Recht, ihn zuerst zur Rede zu stellen«, wandte Connen-Neute sacht ein.
Nutzlos’ Augen verdunkelten sich. Er riss sein Licht hoch, wirbelte herum und stapfte in Richtung Feste davon. Connen-Neute nahm Strell beim Arm und zog ihn mit sich. »Augenblick mal …«, protestierte Strell, der sich stolpernd in Bewegung setzte.
»Sie hat gerade dreihundertneunundachtzig Jahre überwunden, Pfeifer!«, rief Nutzlos über die Schulter zurück, und die Lichtkugel in seiner Hand hüpfte weiter. »Sie kann von hier aus allein nach Hause finden.«
»Alissa?«, rief Strell.
»Wir sehen uns bald«, flüsterte sie allein in seine Gedanken, »mein Liebster.« Und obgleich sie keine Antwort hörte, drang eine Woge der Liebe in ihr Bewusstsein, dreimal so stark wie jene, die sie ausgesandt hatte. Sie musste die Augen schließen, um die Tränen zurückzuhalten. Sie stand in der kalten Herbstnacht und sonnte sich in der Wärme seiner Gedanken. Als sie die Augen wieder aufschlug, war Nutzlos’ Licht verschwunden.
Der Wind ließ die Decke um ihre Knöchel flattern. Sie erstarrte, als sie ein Paar Pantoffeln entdeckte. Sie erkannte sie als jene, die Lodesh erschuf. Mit zusammengebissenen Zähnen schlüpfte sie trotzdem hinein und versuchte ihn zu erspüren. Im Hain natürlich. Sie löschte ihre Lichtkugel und stolperte im Dunkeln voran. Er sollte sie nicht kommen sehen und womöglich die Flucht ergreifen.
Der Mond ging auf, als die Wolken über ihr im kräftigen Wind aufrissen. Es würde eine kalte Nacht werden. Der Boden war feucht vom gestrigen Regen, und bald waren ihre Pantoffeln nass und glitschig. Als sie den Hain endlich erreichte, war sie entschieden schlechter Laune.
Ihre Finger, die die Decke umklammerten, waren steif vor Kälte, als sie unter die schwarzen Äste der Euthymien schlüpfte. Ihre Blätter raschelten, noch nicht bereit, sich von ihrem Baum zu lösen. Sie runzelte die Brauen, als sie feststellte, dass nur zwei Bäume – statt drei – umgestürzt auf dem Boden lagen. Es erschien ihr ungerecht, dass sie in einer so nutzlosen Sache eine Veränderung bewirkt hatte, und sie fragte sich, ob sie Rens und Kallys Zukunft nicht doch hätte retten können.
Alissa glitt auf dem Moos aus und wäre beinahe gestürzt. Sie fing sich mit einer hastig ausgestreckten Hand ab und fluchte leise, als diese auf einen spitzen Ast traf statt auf weiches Moos.
»Ich bin hier drüben, Alissa.«
Beim Klang von Lodeshs Stimme fuhr sie herum. Sie rieb sich Schmutz und Splitter von der Hand und stürmte zu ihm hinüber. In ihrem hastig erschaffenen Licht sah sie ihn kerzengerade auf einer der umgestürzten Euthymien sitzen. Neben ihm lag ein Bündel.
»Du gehst also fort?«, fragte sie scharf, und er nickte knapp. »Wohin denn?« Ihre Stimme klang beängstigend flach und verriet ihre aufwallenden Gefühle.
»Irgendwo anders hin.« Es klang kalt und ausdruckslos.
Alissa schwieg und versuchte, ihre chaotischen Gefühle zu sortieren, doch es gelang ihr nicht. Sie hob die Hand, krümmte die
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