Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
erkennt, was geschehen ist?«
Besorgt rückte Alissa Nutzlos’ Weste zurecht. »Ich – äh – habe Strell nirgendwohin geholt«, sagte sie langsam. »Ich habe mich in der Zeit versetzt.«
»Aber …« Connen-Neute erstarrte.
Alissa ließ sich auf die Fersen zurücksinken. »Sieh dich um. Die Stadt ist leer. Es ist kälter als in den Kellern der Feste.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Die Wolken sind so dick, dass die untergehende Sonne dahinter verschwindet. Vor einem Augenblick war es noch klar. Ich glaube, dass dein Bewusstsein irgendwie mit mir hierhergezogen wurde und wieder in deinen wilden Körper geschlüpft ist.« Schwach lächelte sie in sein bleiches Gesicht auf. »Tut mir leid.«
Connen-Neute rappelte sich hastig auf und suchte am Horizont nach den Rauchfahnen von tausend Kochfeuern. »Die Pferde«, hauchte er. »Die Pferde sind nicht mehr da.« Er wandte sich ihr zu, und sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Aber … wie …« Seine Augen rollten nach hinten, und er kippte vornüber.
»Pass auf, Alissa!« Strell riss sie beiseite, als Connen-Neute mit dem Gesicht voran schwer auf den kalten Boden schlug. Sie und Strell stolperten ungeschickt über das Gras und gingen zu Boden, doch seine Arme hielten sie sicher umfangen. »Diese Meister kommen mit Überraschungen nicht sonderlich gut zurecht, was«, bemerkte Strell leise an ihrem Ohr.
»Offenbar«, stimmte Alissa zu. Hier auf dem Boden, im Windschatten des Felsens, war es wärmer, und sie wollte sich um nichts in der Welt von der Stelle rühren.
»Geht es dir gut?« Er lächelte, ohne den Griff zu lockern.
»Ja.« Sie grinste. Ihr Blick fiel auf Kralle, und sie erwartete, nun den üblichen misslaunigen Lärm zu hören, den der Vogel stets veranstaltete, wenn jemand ihr zu nahe kam. Überraschenderweise starrte sie jedoch nicht finster auf Strell herab, sondern stand nur steif und mit gesträubtem Gefieder da, halb abgewandt, als wolle sie nicht hinschauen, traue sich aber auch nicht ganz, sie aus den Augen zu lassen. Strells Blick folgte Alissas. Ohne den Blick von dem kleinen Vogel abzuwenden, beugte er sich langsam vor, als wolle er einen weiteren Kuss von Alissa stehlen. Beide beobachteten Kralle, während er näher rückte … und noch näher …
»Rawak!« Scharfe Augen und ein drohender Schnabel wandten sich ihnen zu.
Strell ließ sich ergeben zurücksinken. »Das ist jetzt wohl meine neue Grenze, was?«
»Ja«, stimmte sie säuerlich zu. Dämlicher Vogel. Nie schien sie einen Augenblick mit jemandem allein sein zu dürfen. Irgendjemand kam immer dazwischen. Wenn es nicht Kralle war, dann Nutzlos, oder Redal-Stan, oder …
Besorgt verzog sie das Gesicht und wandte sich Strell zu. »Wo ist Lodesh?«
– 45 –
L ass das, Alissa. Mir fehlt nichts.« Eine langfingrige Hand schloss sich um ihre. »Nur ein Kratzer.«
Alissa ließ sich auf die Fersen zurücksinken und sah ihren Lehrmeister mit missbilligend geschürzten Lippen an. »Macht nicht so ein Theater«, beklagte sie sich. »Wenn Ihr mich nur nachsehen lassen würdet, würde ich auch weggehen und Euch in Ruhe lassen.«
Seine Augen weiteten sich. »Tu das ja nicht. Bleib schön, wo du bist.«
Lächelnd beugte sie sich wieder vor. Diesmal hielt er still, während sie sein kurzes weißes Haar teilte und feststellte, dass der Kratzer tatsächlich zu harmlos war, um sich deswegen zu sorgen. Befriedigt legte sie ihre Lichtkugel hin und zog die Decke, die er für sie erschaffen hatte, zu sich heran. Es war kalt auf der Wiese. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, ein Feuer zu entzünden, da sie aufbrechen würden, sobald Connen-Neute sein »Schläfchen« beendet hatte.
»Du also.« Nutzlos’ weiße Augenbrauen hüpften vor Freude. »Du warst Redal-Stans geheimnisvolles Eichhörnchen.« Seine Miene wurde säuerlich. »Ich hätte es mir denken können – er hat ja beschrieben, dass du nichts als Ärger gemacht hast.«
Alissa nickte und freute sich sehr.
»Ich würde darauf wetten, dass du es warst, die den Bewahrern den Hitzebann verraten hat.«
Ihr Lächeln erlosch. »Niemand hat mir gesagt, dass ich den geheim halten müsste«, erwiderte sie, und er grinste.
Gras raschelte, als Strell sich neben Connen-Neute aufrichtete.
»Er kommt zu sich«, sagte er und trat beiseite, damit Alissa seinen Platz einnehmen konnte.
Connen-Neutes goldene Augen erfassten sie. »Alissa«, dachte er. »Ich hatte einen sehr seltsamen Traum.«
Von ihrer
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