Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
weil sie sich endlich bewegen durften, lief sie den langen Flur entlang und mit geradezu halsbrecherischer Geschwindigkeit die Treppen hinunter. Vor dem Ausgang des Palatiums hielt sie inne, sah sich um, überlegte … Im Hof waren Tische aufgebaut, ja, selbst für Blumengirlanden hatte Aaron gesorgt.
Kurzentschlossen schlüpfte sie in den schattigen Arkadengang, um durch die Blätter des Weinstockes hindurch zu beobachten, was im Ehrenhof vor sich ging. Sie wollte Alix zuerst aus der Ferne sehen, ohne selbst von ihr gesehen zu werden …
Und da kamen die ersten auch schon herein. Juden - man sah es an der Kleidung. Zögernd betraten sie den Hof. Die Männer mit ihren spitzen Hüten voraus, ihre Frauen und Kinder hinterdrein. Neugierig beobachtete die Vizegräfin wie Aaron auf die Leute zutrat und sie mit einem Shalom begrüßte. Wo war Alix? Inés schob das Weinlaub ein Stück beiseite und blinzelte in die Sonne hinaus. Sembla, der neben Gardevias im Schatten lag, spürte erneut ihre Unruhe, denn er sprang auf, leckte ausgiebig die Hand seiner Herrin.
Plötzlich kam Aaron in Begleitung der ganzen Judenschar auf die Freitreppe zugelaufen, das hagere Gesicht freudig erregt. Schon sah er sich suchend nach ihr um. Die Pflicht rief. Inés fasste sich ein Herz und gab ihr Versteck auf.
Vom obersten Treppenabsatz herunter begrüßte sie mit dünner Stimme die Gäste.
Als sie geendet hatte, wunderte sie sich, weil sich niemand über ihre Willkommensworte zu freuen schien. Stumm, mit halb gesenktem, halb misstrauischem Blick standen die Juden ihr zu Füßen. Einige Frauen weinten. Hatte sie etwas falsch gemacht? Inés warf suchende Blicke über den Hof. Wo war Alix? Und wo steckte Meister Villaine?
Die Juden standen weiter stumm herum. Warum sorgte Aaron nicht dafür, dass sie Platz nahmen?
Wieder sah sie sich um. Nirgends eine Sänfte! Irgendetwas stimmte nicht.
Endlich erbarmte sich Aaron. Er klatschte in die Hände und wies auf die Tische.
Nun kam Bewegung in die Leute. Und endlich entdeckte Inés auch Villaine. Gänzlich unbeachtet stand er an der Mauer, in der Nähe des Ausgangs. Sofort beauftragte sie einen der Pagen, ihn zu holen. Der Spielmann musste wissen, was mit Alix los war.
„Sagt, wo ist meine Schwester“, herrschte sie ihn an, wissend um ihren unfreundlichen Tonfall, doch sie war so durcheinander, so voller Angst, Alix könnte im letzten Augenblick noch etwas zugestoßen sein, dass sie sich nicht gebührend beherrschen konnte.
Der Spielmann verbeugte sich vor ihr, ohne sich seine Gefühle anmerken zu lassen. „Ich hole sie Euch, Vizegräfin!“
Innerlich angespannt wie selten zuvor, beobachtete Inés wie er auf eine junge, sehr schlanke Jüdin zulief, die am Stamm der Ulme lehnte und zu ihr hoch sah. Vor ihren Füßen saß ein buckliger Kerl, der Flöte spielte.
Die Arme hinter dem Nacken verschränkt, saß Esclarmonde von Foix neben ihrer Schwägerin auf einer Bank unter dem großen Mandelbaum, von wo aus sie einen herrlichen Blick sowohl auf das Schloss Foix als auch auf die hohen Berge ringsum hatten.
Sie erklärte Philippa, dass sie im Morgengrauen des übernächsten Tages zu einer längeren Reise aufbrechen würde, um sich mit dem Kastellan des Montségur zu treffen. Danach wäre Fanjeaux ihr Ziel, wo sie ihre Ausbildung als Perfekte vollenden wolle. Bischof Castres habe ihr zugesagt, sie im nächsten Jahr zu ordinieren.
Dann kamen sie auf Papst Innozenz zu sprechen.
„Rom kämpft an zu vielen Fronten“, meinte Philippa nachdenklich. „Ihr ´Guten Leute` seid nur ein Gegner, wir Waldenser ein anderer, und wenn mein armer Ramon recht hat, so befinden sich unter den hartnäckigsten Feinden Roms Innozenz` eigene Prälaten!“ Nachdenklich hielt sie mit dem Sticken inne … „Seit damals, als sich die Zisterzienser aus Villemagne öffentlich Frauen nahmen, steht der Heilige Stuhl nur noch auf drei wackligen Beinen.“
„Das mag schon sein, liebste Schwägerin“, stimmte ihr Esclarmonde zu, „das mag schon sein. Fügt man jedoch ein weltliches Bein hinzu, was jederzeit geschehen kann, wenn der französische König sich mit Innozenz versöhnt, wird Rom über Nacht erstarken. Also müssen wir uns vorsehen …“ Esclarmonde, schmal und bleich - nichts Ungewöhnliches im Jahr der Vorbereitung auf das Consolamentum - beugte sich über die Stickerei, die Philippa in den Händen hielt. Der kleine Wandbehang, ein Geschenk für Castres war fast fertig: Ein Akazienzweig mit grünen,
Weitere Kostenlose Bücher