Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
sehnlicher, als irgendwann als Troubadour geboren zu werden. Erleichtert sprang er vom Pferd. Ja, ein Spielmann wollte er dann sein und endlich die schöne Alix freien - mochte sie im anderen Leben auch Schafe hüten!
Die Torwächter erkannten den Vizegrafen und seine Reiter sofort und ließen sie ein. Sie nahmen die Pferde in Empfang und geleiteten den hohen Gast in die Küche.
„Gesine, bring mir und meinen Männern Schinken, Brot und einen Krug Wein“, trug der Trencavel der Magd auf, „dann leg dich wieder schlafen. Meine Kammer finde ich allein, ich bin ja hier zu Hause.“
Die Magd erschrak. Seine Kammer? Um Himmels Willen … „Ich wecke rasch den Meister Spielmann!“, sagte sie.
Doch der Trencavel verwehrte es ihr und meinte, morgen sei für`s Feiern auch noch Zeit.
Die Alte stellte das Gewünschte auf den Tisch und schlurfte in die Ecke zurück, in der sich ihr Strohsack befand. Wie hätte sie die rechten Worte finden sollen, dem Vizegrafen etwas zu erklären, was sie selbst kaum verstand.
Inés von Carcassonne war den halben Tag lang unruhig auf und abgelaufen. Die Zeit schien sich rückwärts statt vorwärts zu bewegen - wie der kleine Skorpion, den sie kürzlich neben ihrem Bett entdeckt hatte. Ein schlimmes Vorzeichen? Nun, die Amme hatte ihm den Garaus gemacht, bevor er Unheil hatte anrichten können. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Ray, dieses neugierige Kind, ihn angefasst hätte!
Sie warf einen zärtlichen Blick auf ihren Sohn, der friedlich in der Bettstatt schlief. Ein Lächeln lag auf seinem Mund. Ab sofort würde sie auf ihn achtgeben, Tag und Nacht.
Der Junge schwitzte. Inés tauschte die wollene Decke gegen eine blütenbestickte, leichtere aus. In der Vorkammer hörte sie den Singvogel in seinem Käfig hantieren. Ray liebte den Vogel über alles, die beiden Knaben hatten ihn selbst ausgesucht, beim jüdischen Händler. Das Gefieder blau wie Flachsblüten, die Schwanzfedern schwarz, blutrot der dicke Schnabel. Die Füße? Ja, die Füße waren das Schönste an ihm, sie leuchteten wie reinstes Safran! Damian und Ray fütterten ihn immer mit Granatfruchtkernen. Damian ...
War Alix wirklich voll unbedachter Hoffnung gen Cahors geritten? Einer törichten Eingebung wegen? Natürlich war der Schmerz einer Mutter groß, die ein Kind verlor, sie kannte ihn auch. Zwei Kinder waren ihr gestorben, noch ehe sie geatmet hatten. Es war Gottes Wille gewesen. Aber Damian war schließlich der Sohn eines Erzbischofs, was bedeutete, so sagte es einem der Verstand, dass dieser eine klerikale Ausbildung für seinen Jungen vorsah. So etwas konnte man doch vernünftig regeln. Einmal in ihrem Leben hätte Alix auf sie hören können! Aber nein, obendrein hatte sie in ihrem Trotz die wertvollen Windhunde mitgenommen. Raymond-Roger würde außer sich sein, wenn er davon erfuhr!
Über das schmale Gesicht, noch blasser als sonst, liefen ungewollt Tränen. In einer jähen Aufwallung von Zorn wischte sie sie weg. Die dünnen Armreifen aus gediegenem Gold, die sie trug, klirrten.
Inés spürte, wie sich der dunkle Klumpen in ihrem Inneren regte, wie er erneut mit seinen langen Fangarmen von ihr Besitz ergriff. Es war fast wie damals, als der Koch vom Pinto-Turm sprang. Und jetzt die Sache mit dem Jungen und Pater Hugo! Zu Hunderten waren die Soldaten am Nachmittag noch einmal ausgestürmt. Auch die Vorstädte hatten sie auf den Kopf gestellt. Keine Spur. Wie konnten sich nur am helllichten Tag zwei Menschen in Luft auflösen?
Inés knetete ihre Hände, die eiskalt und feucht waren. Wieder seufzte sie, wieder rannen die Tränen. Pater Hugo hatte ihr geraten, mit dem Kleinen in ein Kloster zu fliehen, um dort Ruhe zu finden. „Eure Seele ist kostbarer als alles andere!“, hatte er gesagt. „Geht!“
Ach, wenn doch nur wenigstens Raymond-Roger zurückkäme!
Die Tür zur Nebenkammer öffnete sich vorsichtig. Die Amme lugte herein, um nach dem Kleinen zu sehen. Inés legte den Finger auf den Mund und machte ihr ein Zeichen, sich wieder zu entfernen. Dann nahm sie sich zusammen, eilte zum Gießfass hin, um sich die Augen zu kühlen. Verheult wollte sie ihrem Gemahl nicht gegenübertreten, so er denn heute käme. Plötzlich hielt sie inne. Schwere Schritte auf dem Gang? Begleitet von einem merkwürdigen Klopfen? Hatten sie Damian gefunden?
Sie riss die Tür zum Flur auf. Der Oheim kam ihr entgegengelaufen, auf seinen wunderlichen Stock gestützt, dessen Knauf aus einem geschnitzten Pentagramm
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