Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
es konnte sie den Kopf kosten, wenn die Alte diese Sache jemals herausbekam.
Während Esther fleißig am Webstuhl saß – das Schiffchen flog nur so - rückte Alix den kleinen Tisch in die Nähe des Kamins, denn mit klammen Fingern ließ es sich schlecht schreiben. Zwar war der Winter auch im Gebirge längst vorüber, die dicken Mauern des Hauses jedoch waren kalt wie eh und je.
Mit der Schilderung ihres Schicksals, wie Esclarmonde es ihr empfohlen hatte, war sie schon weit gekommen. Viele Wochen hatte sie mit ihrer kleinen, gleichmäßigen Schrift Seite für Seite gefüllt. Fehlten ihr zu Beginn oft die rechten Worte für das Schreckliche, das ihr Bartomeu angetan hatte, holte sie mit der Zeit auch das hervor, was in ihrem tiefsten Inneren verborgen war. Das Schreiben beruhigte sie. Es war, als wenn sie, im Treibsand versunken, plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen fand.
Sie hielt auch vieles von dem fest, was ihr Esclarmonde über den katharischen Glauben erzählte. Es sollte nicht verloren gehen. So hatte sie von ihr bereits auf dem Montségur erfahren, dass das Fasten und die Askese der Perfekten einzig zum Ziel hatten, die Instinkte zu beherrschen. Das Schweigen der Leidenschaften erleichtere das Meditieren und das Erkennen spiritueller Wahrheiten.
Das Schweigen der Leidenschaften ... Lange rang Alix mit sich, ob sie Esclarmonde um Rat fragen sollte, was die Leidenschaft betraf, die sie für Raymond-Roger empfand.
Eines Abends, als die anderen bereits schliefen, brachte sie den Mut auf, worauf ihr die Katharerin mit einem Lächeln zu verstehen gab, dass ein Mensch, der wisse, dass der Geist Gottes alles in ihm wirkt, gar nicht sündigen könne. Diese Erkenntnis der Wahrheit sei bereits der Himmel und die einzig mögliche Auferstehung. „Die Hölle ist Unwissenheit“, sagte sie, „sie ist das Paradies der Dummen und in uns wie ein fauler Zahn im Munde.“
Lange hatte Alix über Esclarmondes Worte nachgedacht, jedoch ohne ihren Frieden zu finden. Sie verehrte und respektierte sie, anerkannte ihr großes Wissen, doch dass die Katharerin auf alles eine geschmeidige Antwort hatte, war ihr erneut zu einfach vorgekommen. Keinem Menschen war es vergönnt, die ganze Wahrheit zu kennen.
Fest stand ihr Entschluss, bald, sehr bald, nach Dérouca zu reiten, um mit Villaine zu reden.
Doch zuerst musste sich das Wetter beruhigen. Es regnete seit Tagen. Gottes Mühlen mahlten eben langsam. Alix, die nie geduldig war in ihrem Leben, bemühte sich hier in Pamiers um innere Ruhe und Gelassenheit.
Sie las noch einmal aufmerksam, was sie am gestrigen Abend geschrieben hatte:
Esclarmonde von Foix, die ihren Namen „Licht der Welt“ zu Recht trägt - alle Menschen lieben und verehren sie - , die mich mit unendlicher Geduld auf meiner Suche nach der Wahrheit lehrte, was ich wissen musste, hat mir ans Herz gelegt, nicht zu glauben, dass ich die „andere Taufe“ missachten müsse, nur weil ich jetzt in einem katharischen Hause lebe, in dem man an die Taufe mit dem Heiligen Geist glaubt; wie überhaupt irgendetwas von dem, was ich seither an Christlichem und Gutem getan oder ausgesprochen hätte, nicht schädlich sei. Gott wird auch meine Seele dereinst von aller Materie befreien, und es wird eine Stadt im Lichte vorbereitet werden, und alle Seelen, die gerettet werden sollen, werden in dieser Stadt wohnen und sie als Erbe haben. Dort begegnen sich, so erzählte sie mir, Mitleid und Wahrheit; und Gerechtigkeit und Friede küssen sich ...
Gerade als sie die Feder in die Gallustinte tauchte, um fortzufahren, klopfte es an der Tür.
Esther stand auf, sie zu öffnen. Fays von Durfort stand davor, eine ernste, recht zurückgezogen lebende Frau, die viel Zeit am Betpult verbrachte, wenig sprach und als einzige im Haus der radikalen katharischen Richtung des Glaubenslehrers Bogomil folgte. Vor der Brust den schwarzen Umhang zusammenhaltend, flüsterte sie mit Esther.
Alix beobachtete, wie Esther über und über errötete. Sie ließ die Feder fallen, dass die Tinte nur so über das Pergament spritzte - es war ihr gleich -, lief zur Tür, riss sie auf.
„Ein Bote aus Carcassonne?“, rief sie.
Die Katharerin nickte. Stumm nahm sie Alix an der Hand und führte sie in den Besucherraum für die Bittsteller.
Überall im Haus roch es streng nach Wintergemüse.
Als Alix eintrat, sah sie sich keinem Boten, sondern Raymond-Roger Trencavel gegenüber, angetan mit einer gesteppten Lederweste, wie man sie für
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