Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
einem brennenden Glauben anhingen, war es noch viel mehr. Sie lag in der vollen Mittagssonne, schwebte aber zugleich auf einer weißen Nebelbank, die den Pog umschmeichelte. Ein verlockendes Luftschloss, unwirklich, ätherisch ...
Noch während alle über das seltene Naturschauspiel staunten, kamen die Männer des Burgherrn angeritten, um sie sicher hinauf zu geleiten. Alix - froh, dass Esther mit ihr gekommen war - fühlte auf dem schmalen, steilen Weg, der in unzähligen Kehren nach oben führte, plötzlich den Schmerz um den Verlust Damians mit einer Schärfe zurückkehren, wie sie es nie vermutet hätte. Bartomeu von Cahors hatte nicht nur Pater Hugo, sondern auch ihr ein Messer in die Brust getrieben. Wie hätte sich der Junge gefreut, diese geheimnisvolle Burg zu sehen! Weil sie Damian nie aus den Augen hatte lassen wollen, kannte er nur Carcassonne. Jordan hatte ihr oft vorgeworfen, sie schütze den Mond vor den Wölfen. Aber er war im Unrecht gewesen. Nun wusste auch er es besser.
Alix bückte sich, tastete nach ihrem Lederbeutel, der am Sattel befestigt war. Das hölzerne Schwert war noch da. Damians größter Schatz - ein Geschenk Raymond-Rogers zum letzten Weihnachtsfest. Am liebsten hätte Alix ihrem Pferd die Sporen gegeben, um geradewegs nach Cahors zu reiten! Es beruhigte sie nur wenig, dass Raymond-Roger bereits einen jungen Tempelritter dorthin beordert hatte.
Zwei einsame und bescheidene Wochen verbrachten Alix und Esther in einer der kleinen Hütten unterhalb der Burg, am Abhang des Montségur.
Die Katharer - viele von ihnen strenge Asketen und in schwarze wallende Gewänder gehüllt - hielten auffällig Abstand zu ihnen. Dennoch bekamen sie zu hören, dass der Reichtum dieser Welt die Fäulnis der Seele sei und die Wege Gottes geradlinig und schmal, während auf denen des Satans, den Begierden des Fleisches gefrönt würde. Alix war jedoch weder der Besuch der Burg, noch der Kapelle erlaubt. Sie erfuhr auch nicht das Geringste über die „Geheimen Worte“, die scripta secreta, die sie brennend interessiert hätten. Selbst die neue Sternenwarte, die kluge Köpfe dort oben errichtet hatten, getreu dem katharischen Motto: „Wie die alten Magier müssen wir sowohl die Heilpflanzen als auch die Sterne kennen“ -, durfte sie nicht betreten.
Das stark befestigte Haus in Pamiers jedoch, in das sie irgendwann zogen, gefiel ihr. Esclarmonde wohnte dort mit ihren Freundinnen Aude von Fanjeaux, Fays von Durfort und Raymonde von Saint-Germaine. Am Ortsrand von Pamiers gelegen, geräumig und ruhig, mit Blick auf den malerischen Fluss, erinnerte sie alles an Dérouca . Hier fühlte sie sich wohl. Selbst Esther lachte wieder mit ihr, nachdem auch ihr die Stimmung auf dem Montségur zu düster gewesen war.
Nach drei Monaten jedoch schlug Alix` Laune um: Weder der Tempelritter, noch Pelfort und seine Katharer, hätten etwas über den Verbleib ihres Sohnes herausgefunden, teilte ihr Esclarmonde bedauernd mit.
Alix war entsetzt. Damian konnte doch nicht spurlos verschwunden sein!
Hin und her gerissen zwischen Hoffnung und tiefer Niedergeschlagenheit, aß sie weiter mit den Frauen von Pamiers das gesegnete Brot, hörte ihre Predigten, ohne dass diese Eingang in ihr Herz gefunden hätten, lauschte den Ketzerphilosophen, die sich in Esclarmondes Haus trafen, um mit ihr und anderen nächtelang über Platon oder den Evangelisten Johannes zu disputieren, beschloss jedoch insgeheim, spätestens im Frühjahr zu handeln.
Ihre Sehnsucht nach Raymond-Roger war nahezu unverändert. In ihren Träumen wanderte sie mit ihm, Hand in Hand, durch herbstliche Wälder, und manchmal suchte sie ihn vergeblich an den Gestaden eines fremden Meeres.
9.
Doña Agnès saß steif auf einer der Bänke im Garten des Klosters Gellone, in der Nähe von Montpellier. Die Sonne schien warm, aber es war noch früh am Tag, so dass Honoria, ein wenig linkisch, ihrer Herrin eines der mitgebrachten Felle unterschob. Von Zeit zu Zeit strich der Wind über das zarte Laub der Weiden. Auf den Hügeln der stein- und buschgefleckten Berge, die sich rings um das Kloster zogen, begannen die ersten Wildblumen zu blühen.
Als die Terz-Glocke bimmelte, flog ein Schwarm Dompfaffen auf. Honoria lachte leise. Doña Agnès jedoch nahm die Vögel mit ihren auffälligen Bäuchen nicht wahr, so wie sie auch die seit Tagen hervorbrechenden Farben des Frühlings ignorierte. Sie haderte mit Gott und der Welt, weil man sie gezwungen hatte, sich hierher
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