Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
auch Esther nicht hier lassen!
Sie umarmte Inés wortlos, und packte mit der Jüdin in derselben Nacht das zusammen, was sie für die Reise benötigten. Ihr väterliches Erbe lag gut verwahrt bei den Tempelrittern. In jeder größeren Komturei konnte sie darauf zurückgreifen, falls sie Geld für Damians Befreiung brauchte, denn dass der verrückte Plan, den sie sich ausgedacht hatte, gelang, war ungewiss. Doch alles war besser, als müßig herumzusitzen. Bevor sie sich schlafen legte, verwahrte sie ihre Aufzeichnungen in einer abschließbaren ledernen Minnetruhe und hängte den Schlüssel an die Kette mit dem goldenen Rad. Zum Schluss verbarg sie die Truhe in den untersten Tiefen ihres Kastens mit der Weißwäsche. Sie vertraute niemandem mehr hier im Palatium. Niemandem. Am wenigsten Raymond-Roger. Er hatte ihre Liebe verraten!
Lange dachte sie an ihn, bevor sie einschlief. Sie tadelte ihn bitter. Doch als sie einmal aus dem Schlaf aufschreckte, redete sie sich rasch ein, dass ihm Ovids „Liebeskunst“ womöglich ein schlechter Ratgeber war – er hatte ihr einmal daraus vorgelesen - und Fabrisse vielleicht nur eine flüchtige Laune.
Dann beschwor sie ihre Seele, Ruhe zu geben.
Das Konzil von Aubenas, auf das die Grafen Okzitaniens ihre Hoffnung gesetzt hatten, erwies sich als Fehlschlag: Als Arnaud Amaury von dem Verdacht hörte, Castelnau könne ermordet worden sein, weil er sich geweigert hätte, das Gottesurteil von Montréal zu bestätigen, weigerte er sich plötzlich, den Grafen von Toulouse und den Vizegrafen Trencavel zu empfangen. „Die Biene“ verwies die beiden nach Rom ...
Wütend über die Arroganz des Abtes waren sie selbst in Streit geraten, der alternde Graf und Raymond-Roger. Noch während der Trencavel den Tolosaner beschwor, sich mit ihm gemeinsam bis zum Äußersten zu widersetzen, erfuhr er aus zweiter Hand, dass Graf Raymond längst Gesandte nach Rom geschickt hatte, um Friedensbedingungen auszuhandeln.
Das Ergebnis dieser Anbiederung entrüstete jedoch das ganze Land: Innozenz forderte die vollständige Unterwerfung des Grafen von Toulouse, sowie als Unterpfand für seinen guten Willen seine sieben wichtigsten Festungen und die nördlich von Montpellier gelegene Grafschaft Melgueil. Obendrein sollte er sich verpflichten, die Häretiker mitsamt ihrem Besitz den Kreuzfahrern auszuliefern, und alle Juden aus ihren Ämtern zu entlassen.
Was keiner erwartet hatte, traf ein: Der Graf von Toulouse streckte die Waffen und stimmte einer öffentlichen Unterwerfungszeremonie zu.
So kam es, dass die halbe Welt nach Saint-Gilles - den Schauplatz des Attentats auf Peter von Castelnau - pilgerte, um einer bösen Demütigung beizuwohnen.
Der Platz vor der Basilika des Heiligen Ägidius war schwarz von Menschen.
Mit nacktem Oberkörper und bloßen Füßen stand der Tolosaner vor der breiten Treppe, um auf die Legaten Roms, die Erzbischöfe und Bischöfe zu warten. Als sie kamen, trugen sie Ruten in ihren Händen. Sie geleiteten ihn zur mittleren der drei roten Portaltüren hinauf, die ins Innere der Basilika führten. Auf ein Zeichen hin begannen sie ihn zu züchtigen, bis ihm das Blut den Rücken hinablief.
Kein Klagelaut war zu hören, doch im stolzen Antlitz des weißhaarigen Grafen stand die Abscheu vor diesem entwürdigenden Ritual.
Als sie ihn genug geschlagen hatten, hießen sie ihn sowohl auf den Leib Christi als auch auf diejenigen Heiligenreliquien schwören, die sie in goldenen Kistchen und Schreinen mit sich führten. Raymond von Toulouse gelobte mit lauter Stimme, fortan den Befehlen der Heiligen Römischen Kirche in allem zu gehorchen, und anerkannte die fünfzehn Anklagepunkte, die man gegen ihn vorgebracht hatte. Doch damit war es noch nicht vorüber. Gleich einem Halfter, legte man ihm eine weiße Stola um den Hals und zerrte ihn unter weiteren Rutenhieben wie ein wildes Tier in die Krypta hinunter, wo der ermordete Peter von Castelnau lag. Dort musste er sich entkleiden und dem toten Legaten seine Verehrung erweisen.
Auch das vollbrachte der Tolosaner mit großer Würde.
Als er jedoch vier Tage später erneut vor sein Tribunal trat, um seinen vorerst letzten Eid abzulegen, zitterte die Stimme des einst mächtigsten Mannes Okzitaniens, denn das, was er schwören sollte, wollte ihm kaum über die Lippen kommen. Mit diesem Schwur, das wusste er genau, würde er selbst zum Kreuzfahrer und damit zum Verräter an seinem eigenen Land werden:
„Ich gelobe auf die Heiligen
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