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Alix ... : Historischer Roman (German Edition)

Alix ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Alix ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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weit. Aufgeregt winkte sie der Bossu zu sich auf den Hügel, von dem aus er die Gegend überwachte. In einen diffusen Staubnebel aus blassem Rosa gehüllt, wälzte sich das Heer heran. Ein gefräßiger Drache, ein Untier mit tausend Armen und Beinen nahm vom Tal Besitz und schlug unter schrecklichem Getöse sein Nachtlager auf.
    „Beim bärtigen Ganymed“, stieß Villaine hervor, „unser Land ist verloren!“

    „Nehmt ihnen ihre Häuser weg, damit katholische Einwohner an die Stelle der vernichteten Ketzer treten können ...“, drang es an ihre Ohren, als sie im Morgengrauen das erwachende Lager betraten. Überall Priester mit langen Kreuzen in der Hand; manche predigten sogar von hoch oben, auf rasch zusammengezimmerten Gerüsten. Deus lo vult! – Gott will es!
    Man führte sie in ein großes Zelt, in dem sich weitere Neuankömmlinge befanden, las ihnen die Disziplinarverordnungen vor, warnte sie vor Verstößen, die harte Strafen nach sich ziehen würden. Dann teilte man ihnen ihre Stoffkreuze aus und wies ihnen einen Platz zu, fernab, neben einer wahrhaft verkommenen Rotte, die sich als die Hurenjäger des Bettlerviertels von Paris zu erkennen gab.
    Villaines Vorschlag, ab sofort nur ein einziges Zelt aufzuschlagen, damit man die Frauen besser bewachen könne, wurde angenommen. Als sie am ersten Abend die Pferde und Maultiere versorgt hatten, teilten sie ein karges Mahl miteinander. Esther heftete im Schein einer Fackel rasch die Kreuze auf die Gewänder, dann legten sie sich schlafen. Doch obwohl es schon spät war, summte das Lager noch immer wie ein Bienenstock.
    Die Jüdin atmete bald gleichmäßig neben ihr, aber Alix kam nicht zur Ruhe. Die Zeit eilte. Sie musste spätestens morgen dem Cahors eine Nachricht zukommen lassen, denn dass er in diesem Durcheinander von Zelten, Wagen und Gerätschaften zufällig auf ihr Trullo-Schild stieß, war unwahrscheinlich.
    Im Morgengrauen, nach der Messe, wurde das Lager wieder abgebrochen, ging es weiter nach Westen.
    Jean, der selbsternannte König der Hurenjäger, ein sonderbarer Kerl mit prallen roten Backen wie polierte Äpfel, saß mit blasierter Miene, Krone und Zepter hoch zu Ross auf einem hölzernen Thron, der über und über mit obszönen Schnitzereien versehen war. Seine Beinlinge und sein Wams hatten die Farbe herbstlichen Laubes, und obwohl es erneut heiß zu werden drohte, trug er einen Umhang aus Eichhörnchenfellen. Unablässig ließ er auf dem Marsch unflätige Worte auf die neuen Spielleute herabregnen, die hinter ihm und einer Horde Ribaldis ritten, bewaffnet mit Saufedern, Lanzen und Speeren. Während sein Gefolge ausschließlich französisch sprach, parlierte Jean auch in Latein und mehreren anderen Sprachen. Selbst Okzitan beherrschte er. Einmal, als er sich von seinen Leuten vom Pferd helfen ließ, um am Rande des Zuges sein Wasser abzuschlagen, forderte er beim Zurückkommen Alix auf, am Abend vor ihm den „Tanz der Salome“ aufzuführen. Als Villaine das hörte, raste er vor Zorn.
    Jean jedoch lachte, dass es einen schaurig über den Rücken kroch.
    Alix war entsetzt. Derlei Verschrobenheiten waren ihr zutiefst zuwider, aber nicht unbekannt. Am liebsten wäre sie mit den Freunden nach Carcassonne zurückgekehrt. Hatte sie überhaupt das Recht, Esther und die Spielleute in ihre ureigenste Sache hineinzuziehen? Wo waren ihre hehren Vorsätze geblieben, die sie auf der Flucht aus Cahors gefasst hatte?
    Stumm zogen sie weiter, um diesen Jean nicht zu provozieren. Nur der Bossu, der von den Ribaldis den meisten Spott einzustecken hatte, zischte ab und an wie eine Schlange, wenn er sich den Pöbel mit der Lanze vom Leib hielt.
    Den nächsten Halt machten sie am Rande eines Ortes namens Servian, dessen Einwohner vor dem heranrückenden Heer geflüchtet waren. Der Ort wurde zur Plünderung freigegeben, was den Spielleuten Zeit verschaffte, ihr weiteres Zelt ohne Belästigung durch die Hurenjäger an einer Stelle aufzubauen, die sich etwas oberhalb des Lagers befand, am Rande eines kleinen Wäldchens, von wo aus sie einen entfernten Ausblick auf die großen, farbigen und mit Schabracken und Vorbauten versehenen Zelte der Zugführer und Prälaten hatten.
    Das Spielmannszelt war rasch aufgebaut. Sie stellten das Schild davor und warteten auf Miquel, der das Wagnis eingegangen war, sich auf die Suche nach dem Erzbischof zu machen.
    Aus der belagerten Ortschaft drangen Geschrei und Gegröle zu ihnen herüber.
    Die ersten Fackellichter sprangen bereits

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