Aljoscha der Idiot
schon drei Tage her? Und war es möglich, daß sie vor drei Tagen die blaue Haut des Himmels abgezogen und sich in Bitterkeit getrennt hatten, sieben Schalen vollgefüllt mit Zorn?
Leda rief ihn an und sagte: „Ich dachte, wenn jetzt einer von uns beiden stirbt, war es ein böses Ende für immer“, und wenn Zärtlichkeit in diesen Worten lag, dann vermochte sie nicht auszubrechen aus dem Kerker eines kalten Tonfalls. Dieser Tonfall, in dem forcierte Indifferenz die Herrschaft vortäuscht, fischblütig auf Unrecht deutet und etwas, das falsch ist, bekämpfen will mit etwas, das noch falscher ist. Aljoscha war erfolgreich daran erinnert, daß Schlechtes Gewissen ein alter Bekannter von ihm war, ständiger Untermieter, Leibeigener. Der ganze Übelstand verschärfte sich, als Aljoscha erwähnte, am nächsten Dienstag seine Klausur schreiben zu müssen, und wenn er vermeiden wollte, daß es für ihn nur noch einen Trostpreis zu gewinnen gab, hatten von Stund’ an die Bücher seine einzige Gesellschaft zu sein. Die Ankündigung wirkte verheerend. Leda war gekränkt, beendete das Gespräch mit einem knappen Abschiedswort und gab keine Gelegenheit, es zu erwidern.
Aljoscha konnte nur noch das Messer in seinem Bauch herumdrehen. Dabei hatte Leda ja recht; es war kränkend, den Sachzwängen geopfert zu werden. Genau davon hatte er die ganze Zeit geredet. Genau damitwar er Leda die ganze Zeit auf die Nerven gegangen. Er kannte sich aus mit solchen Ankündigungen des Entzugs. Und er kannte die Placebopillen zum Ruhigstellen, die wider besseres Wissen verschriebenen Rezepte. Warum konnten wir sie nie zur Hölle schießen, die Auflagen für das Wesentliche. Die Klauseln für das Dringliche. Die Maßgaben für das Bedeutsame. Nichts von Belang hat 47 Bedingungen.
Und das Tragische daran war – Aljoscha hatte es immer vermutet, und Leda würde es nun ihrerseits vermuten –, daß Sachzwänge auch gelegen kommen können.
Als Aljoscha mitten in der Nacht an den Knöpfen seines Radios drehte, fand er einen ihm bis dahin unbekannten Sender, der ein paar Stücke von The Fall durch den Äther schickte, der Gruppe um Mark E. Smith, dessen Vortrag sich zu Gesang verhielt wie ein Woolworth-Hemd zu einem Chanel-Kleid; nörgelige Bestandsaufnahmen, ultraweitschweifige, meterlange, tagelange Tiraden von stoischer Besserwisserei, mit dem linken Fuß zuerst aufgestandene, ins Mikrophon oder Megaphon gemäkelte Bezichtigungen, über einen knochentrockenen, eins überbügelnden Rhythmus hingegossen wie Bier über einen Pub-Tisch. Das Ganze klang wie Staubsaugen auf Kopfsteinpflaster und tat einem Mann mit einem Messer im Bauch notwendig gut.
Und dann spielte dieser Sender am Ende der Welt Cat People von David Bowie. Und zwar in der Version, die zum Soundtrack eines Remakes von Katzenmenschen gehörte. Und plötzlich fing der Sender an zu rauschen, Interferenzen traten auf, mehrere Frequenzen überlagerten sich,
I CAN STARE FOR A THOUSAND YEARS
und Bowies Stimme klang so schaurig verzerrt, als würde die Übertragung vom Neid der toten Seelen auf die Lebenden angegriffen. Vor Aljoscha lag ein Buch über Horrorfilme, aufgeschlagen die Seite mit dem Abschnitt über Katzenmenschen aus dem Jahre 1942. Synchronizität ist sinnvolles Zusammentreffen von Ereignissen, das nicht kausal erklärbar scheint. Was bedeutet die Sieben? Drei ist die Idee, vier die wirkliche Gestalt. Sieben ist die Vollendung des Wirklichen. Sieben Jahre herrscht der König, bevor die Weiße Göttin ihn entführt. Wie ist Dein Name? Wie ist Dein Name?
Mein Name ist Dein Wagnis.
Es gibt Kräuter, die im Mondlicht strahlen. Es gibt Wesen, die sich geheimhalten. Mädchen, die in der Wüste ertrinken können. Mädchen,die immer damit rechnen, daß man sie von hohen Türmen werfen wird, so wie es im Mittelalter die Meute manchmal mit Katzen tat. Mädchen, die es im Betriebsklima der Welt nicht aushalten und sich zurückziehen an die Peripherien. Wissend, daß man ihresgleichen entweder als zu heimlichtuerisch oder als zu exhibitionistisch verurteilt. Fürchtend, daß man ihnen Böses will, weil sie irritierenden Gesetzen folgen. Oder sich selbst Gesetz sind. Weil sie mit kaltem Blick und unbeirrbarer Präzision dort etwas beobachten, wo andere ums Verrecken nicht das Mindeste erkennen. Weil sich ihre einzelgängerische Eleganz so wenig um Bewunderer kümmert, daß man glaubt, sie halten sich für unsichtbar. Weil sie zu erröten wissen, während sie Verruchtheiten hüten,
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