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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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gekommen, daß sich ihrBund erneuerte, ihr Wir wie Phönix aus der Asche aufstieg, und die Ruhe nach dem Sturm der Sinn des Sturms war.
    Aljoscha wußte nicht einmal, ob er noch auf einen solchen Ausgang hoffen sollte. Er stellte sich vor, daß SIE, die das Datum auf Französisch schrieb, jetzt womöglich im grünen Wintermantel durch die Tuilerien ging oder auf einer Seinebrücke stand und dem Feuerwerk zuschaute. Vielleicht war IHR Name wirklich Catherine. Vielleicht war SIE der Panther im Jardin des Plantes.
    Er konnte jetzt die Nächte zählen, die keinen Traum von IHR bescherten. In dieser Nacht ließ SIE vor seinen Augen ein weißes Taschentuch fallen. Er hob es auf und gab es IHR zurück. Unerbittlich schön und peinigend real sagte SIE mit einer Stimme, für die ein Patriot sein Vaterland verraten hätte: „Danke…“ Und weil man „Bitte“ sagt, sagte er „Bitte“. Aber so, wie man „Bitte…“ sagt, wenn man jemanden anfleht.
    Die Welt ist alles, was SIE fallen läßt.

25
    Montag, 5. Januar, die Ferienzeit war endlich totgeschlagen, und bei Professor Jelzows Vorlesung über die Altkirche traf Aljoscha einen Leidensgenossen. Er hieß Wladimir. „Du bist mir schon früher aufgefallen“, sagte Wladimir. „Du siehst nämlich überhaupt nicht wie ein Theologe aus.“
    „Nicht?“
    „Nein. Eher wie ein Ketzer.“
    „Wie sehen Ketzer denn aus?“
    „Na, eben anders. Außerdem haben sie meistens irgendwo ein Zeichen.“
    „Siehst du den schwarzen Fleck in meinem rechten Auge?“
    „Eine Pupille.“
    „Sieh genauer hin. Der Fleck in der Iris.“
    „Ja, jetzt sehe ich es. Das hätte zu gewissen Zeiten für die Streckbank reichen können. Was studierst du nun wirklich?“
    „Philosophie.“
    „Also doch ein Oppositioneller. Du kannst offen mit mir reden. Ich hatte auch so meine Probleme mit der Firma hier.“
    „Jetzt nicht mehr?“
    „Bin fast im Examen. Ich sitze nur noch aus Rührseligkeit hier. Und Jelzow ist ein Klassemann. Die Perle in einem Sack voll Linsen, wenn ich so sagen darf. Was soll’s. Ich bin hier, um in der Nähe der Frau zu sein, in die ich verliebt bin.“
    „Das ist der beste Grund, um überhaupt irgendwo zu sein.“
    „Ja, aber, offen gesagt – ich habe meine Abfuhr schon erhalten. Tja, das ist das Realitätsprinzip. Es sitzt da drüben und heißt Nina.“
    Aljoscha machte sich zum Zeugen des Realitätsprinzips.
    „Idiotisch, was?“ fragte Wladimir.
    „Nein.“
    „Ich verrate dir was. Die Menschliche Komödie ist die Rache der Göttlichen Komödie.“
    „Aber schmerzt dich denn ihr Anblick nicht? Das ist doch wie ein Stich ins Herz, und du lieferst dich ihm aus!“
    „Im Gegenteil“, sagte Wladimir. „Es hilft mir, einen klaren Kopf zu kriegen. Manchmal denke ich zwar, ich sollte woanders hingehen, aber Gott verdamm’ mich, da war ich schon. Wenn ich hier sitze und Nina ansehe, kann ich nicht enttäuscht sein. Ich bin einfach hier und kaufe mir den Lauf der Dinge. Kein Heckmeck, kein Gekränktsein, kein Selbstmitleid mit Butter. All diese Verrenkungen sind einfach zum Händeringen dumm. Sie liebt mich nicht. Schön. Ich meine, wofür kämpft man im Leben? Für eine Sekunde der Klarheit. Sag mir eins, Serjoscha – “
    „Aljoscha.“
    „Sag mir eins, Aljoscha, gibt es Fürchterlicheres als diese Geschichten, die sich ewig wiederholen? Zwei Menschen entdecken zu spät, daß sie auf dem Holzweg sind… zwei Menschen entdecken zu spät, daß sie sich nie geliebt haben… zwei Menschen entdecken zu spät, wie sehr sie sich geliebt haben… alles Nillenkäse. Klarheit, das ist alles, was zählt.“
    „Ich weiß nicht“, sagte Aljoscha, „ob ich dich bedauern oder bewundern soll.“
    „Hat man dir mal beigebracht, was das Wort Troubadour bedeutet?“ fragte Wladimir.
    „Naja… daß früher weibliche Schönheit etwas war, worum sich der ganze Charakter des Sängers rankte, und – “
    „Quatsch. Anbetung der unerreichbaren Herrin. Empfangen, was sie gibt. Und wenn es nur ein erbarmungsloses Lächeln ist, begreifst du?Von ihr ein erbarmungsloses Lächeln zu erhalten – dafür jede unbedeutende Zärtlichkeit einzutauschen, das kann einen glücklichen Menschen aus dir machen. Das kann dich dem Himmel annähern.“
    „Über diese Sorte Himmel solltest du hier lieber schnell eine Decke breiten.“
    „Und ob.“
    „Ich studiere nur Kirchengeschichte, weißt du.“
    „Gut so.“ Wladimir schnaubte. „Ich hab den Knalltüten hier ein Angebot gemacht, in

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