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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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meinem letzten Seminar. Ich wollte ein Referat halten über das Troubadourwesen.“
    „Als Religion.“
    „Na klar. Als Religion. Als Verehrung der göttlichen Frau.“
    „Und?“
    „Abgelehnt. Wir haben es hier mit einem Verein zu tun, der nicht dahinterkommt, daß Eva alle menschliche Entwicklung in Gang gebracht hat.“
    „Wahrscheinlich sind sie dahintergekommen, und sie nehmen es ihr übel.“
    „Sie deuten an diesem Geschichtchen herum, aber von der Sündenfall-Idee kommen sie nicht ab, die Speckdeckel. Sie glauben, daß etwas Wahres drin sein muß in ihrer Ballade. Und da hab ich ihnen gesagt, was da Wahres drin ist. Rechnet mal nach, hab ich gesagt, wieviel Bücher Mose wir hätten, wenn es das nicht gegeben hätte, was ihr Sündenfall nennt. Und pöbelt nicht die Frau an, die euch den Job hier verschafft hat.“
    „Hui.“
    „Die müßten jeden Tag niederknien vor der Eva, an die sie glauben. Aber hier kann an jeder Ecke eine Matschbirne stehen, die vor sich hin nuschelt: der Mann ist Geist, die Frau ist Fleisch. Klar doch. Und der Arsch ist vorn. Ich sag dir, keine verdammte Matschbirnenknappheit hier.“
    Aljoscha dachte, daß Christus wahrscheinlich keinen Ausweis für die Theologische Bibliothek bekommen hätte. Und daß es wahrscheinlich auch besser so gewesen wäre.
    „Ich weiß auch gar nicht mehr so richtig, wie ich hierher gekommen bin“, sagte er. „Ich interessiere mich eigentlich vor allem für Isis.“
    „Isis?“
    Aljoscha nickte.
    „Tja, manchmal überkommt’s einen“, sagte Wladimir.
    „Ja“, sagte Aljoscha.
    „Philosoph, he? Hör mal, glaubst du etwa auch, daß der Mensch nur Sprache ist?“
    „Ich? Nein!“
    „Wirklich nicht?“
    „Bestimmt nicht, ich schwöre!“
    „Was für Leute denken sich eigentlich sowas aus? Was sind wir, Zeichen, die einander Zeichen geben?“
    „Wo es davon doch schon genug gibt.“
    „Niemals glaube ich, daß der Mensch nur Sprache ist“, brummte Wladimir. „Und wenn, dann ist er eben kein Mensch. Na, vergessen wir’s. Wie sagte Kung-Fu-Tse: der Sieg ist eine Kette von Niederlagen. Oder sagte das Mao-Tse-Tung?“
    „Weiß nicht. Kennst du Majakowski?“
    „Ja. War etwas neben der Tasse, oder?“
    „Etwas.“
    „Hast du gesehen, wie wunderschön Nina ist? Wie schön sie sich bewegt?“
    „Ja.“
    „Du müßtest sie reden hören. Danach weißt du, daß du vorher gar nichts wußtest.“
    „Ich weiß sowieso gar nichts.“
    „Ach was, Gott versteckt in jedem Leben ein paar Ostereier. Ich kann meine in den Korb legen, den Nina mir gegeben hat. Soll ich unglücklich sein, wenn ich Wahrheit und Schönheit vor mir habe?“
    „Ich glaube, ein Troubadour ist einer, der gefunden hat. Du bist wirklich einer.“
    „Vielen Dank.“
    „Also siehst auch du alle sieben Tage deine Sphinx.“
    „Tja… wieso ‚auch‘?“
    „Sag mir, Wladimir, was bedeutet die Sieben?“
    „Die Sieben? Na, zum Beispiel, am siebten Tag ruhte Gott.“
    „Ja… da ließ man also Platz für etwas anderes.“
    „Hm… ich weiß nicht. Worauf willst du hinaus?“
    „Was soll das eigentlich bedeuten, daß Gott ruht? Warum sollte Gott das getan haben? Wenn Gott ruht, kann doch alles mögliche passieren.“
    „Ah, du willst sagen, am siebten Tag entstand der Zufall. Determinismus ist ein Rohrkrepierer. Wenn etwas determiniert ist, dann ist alles determiniert. Aber wenn etwas nicht determiniert ist, dann ist nichts determiniert.“
    „Ein freier Willensakt, und der ganze Determinismus ist hin!“
    „Das sagte ich gerade.“
    „Und weil der Lauf der Welt nicht determiniert ist, gibt es den Zufall.“
    „Klar.“
    „Also bringt der freie Willensakt den Zufall in die Welt!“
    „Warte… da steckt irgendein Sophismus drin.“
    „Nein, nein, du hast ganz recht! Am siebten Tag ruhte Gott! Danke, Wladimir! Ich weiß jetzt – man macht einen Zufall, indem man sich entscheidet!“
    „Das klingt gut. Aber auch ein bißchen behämmert.“
    „Alle sieben Tage kommt es darauf an, daß der freie Wille für den Zufall sorgt, verstehst du?“
    „Was ist das für eine Sphinx, von der du vorhin gesprochen hast?“
    „Wenn ich das wüßte! Im Augenblick ist sie mein Realitätsprinzip.“
    „Verstehe.“
    „Vielleicht ist sie der Wille, der meinen freien Willen in die Welt bringt. Und der bringt Zufälle in die Welt, die dem Willen der Sphinx entsprechen.“
    „Du bist für die Theologie verloren.“
    „Ich weiß.“
    Klarheit, das ist alles, was zählt… Wladimirs

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