Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
Vom Netzwerk:
du gekocht ?“
    „Sowas Ähnliches.“
    „O weh. Warum hast du mich denn nicht angerufen? Ich hätte gerne für dich gekocht!“
    „Leda, die Wohnung hat noch kein Telephon.“
    „Ach ja… wie schade… ich hatte den Autoschlüssel schon in der Hand! Vielleicht habe ich ja gespürt, daß du da bist, und wollte deshalb kommen…“
    Vielleicht. Und ebenso vielleicht war sie deshalb nicht gekommen.
    Aljoscha fuhr auch am nächsten Tag in Ledas Wohnung; was ihn von der Arbeit ablenkte, waren die weißen Wände, das fragende Schweigen, dieFrage, welches Wort hier leuchten sollte in trostloser Nacht. Die weißen Wände. Sie warteten auf eine Frau, die eines Tages eine Restauratorin von Renommee sein würde. Die weißen Wände warteten auf eine Frau, der eine andere Vernunft gegeben war als ihm. Sie wußte nichts von der Phantastik eines Lebens, das man auf dem Schiff des Kolumbus lebt. Sie entschied sich für A-Dur, und er hatte nichts mehr damit zu tun. Eines Tages würden angefangene Briefseiten sie nicht mehr fragen, was man ihm noch schreiben sollte, und die Erinnerung an einen, dessen Herz sie niemals wirklich als ihr Eigentum betrachtet hatte, nicht als ihr Eigentum gewollt hatte, würde immer weniger weh tun, weil von dem, was weh tut, immer weniger da sein würde. Und eines Tages wäre auch die Nacht vergessen, in der sie ihn zum letzten Mal berührte… die Nacht, die nichts verstand.
    Die Arbeit war am Abend fertig. Leda kam; sanft wie ihre Hände, die zerstörte Schönheit wiederherstellten, war ihre Stimme, unerträglich sanft. Alles mit dir tun, sagte ihre Stimme. Alles nur mit dir. Aber sie wußte selbst, daß sie sich täuschte. Sie würde niemals alles mit ihm tun. Jetzt, wo sie das Burgfräulein einer Burg in weiter Ferne war, während er ein geheimes Königreich einzurichten begann, fand Leda ihren Wunsch erfüllt, wenigstens einmal: sie kam heim, und er war da. Aljoscha schenkte ihr zum Einzug Pfeffer aus Paris.
    Es war ein Nachtsturm, der schlafende Vögel von den Bäumen riß. Ein Wind, der Wunden schlug in jedes Elend. Das unaufhörliche Rauschen da draußen klang barbarisch und einsam. Nicht einmal die Sterne in der Stille ihrer endlosen Entfernungen sind allein. Aber der Wind ist allein, und sein ewiges Rauschen hat keinen Gefährten. Sein Rauschen ist das einsamste Geräusch. Es war vor dieser Welt, und es wird bestehen, wenn diese Welt verloren ist. Trotzdem hörte man alles mögliche in diesem Rauschen. Schließlich waren sie gekommen, die vergessenen Geschöpfe, deren Augen bluteten vor Trauer. Die schwarzen Bäume bogen sich und machten mit den Ästen unerforschliche Zeichen. Das sind die Nächte, in denen die Seelen sich versammeln vor den Fenstern.
    Nächte allen Irrsinns, wie sie einer Frau mit Namen Emily Brontë vertraut gewesen sind in der öden Heidelandschaft Yorkshires. Wie Musik, der es gleichgültig ist, ob jemand ihr zuhört oder nicht, hatte der ewige Wind ewige Einsamkeit über das Pfarrhaus von Haworth gelegt, wo Emily mit Vater, Bruder und zwei Schwestern lebte. Man konnteihn hören, diesen Wind, vor dem es kein Entkommen gab, wenn man Emilys Buch aufschlug, Die Sturmhöhe, den in vollständiger Isolation wie im Fieber zu Papier gebrachten Roman, in dem unerlöste Seelen an den Fenstern kratzen.
    In dieser Sturmnacht aber hielt Aljoscha dieses Buch so nah ans Kerzenlicht, weil die Heldin Catherine hieß; weil es von einer Leidenschaft erzählte, die alle Regeln außer Kraft setzt; eine Liebe wie von Sinnen, dämonisch und gewaltsam, eine Liebe, die so mächtig ist, daß sie selbst die Unbedingtheit des Todes verletzt, sich noch die nachfolgende Generation erzwingt und in ihr weiterwütet; eine Liebe, die schon aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit gekommen sein mußte… die Liebe zwischen Catherine und Heathcliff, die jedem Unglück bringt, der sich in sie einzumischen wagt – sogar dem Tod. Catherine stirbt am Wahnsinn dieser nicht auszuhaltenden Liebe; aber der an einem mysteriösen Punkt jenseits des Wahnsinns angekommene Heathcliff schleudert in die andere Welt den Schwur: kein Schlaf kann uns trennen. Nicht einmal die radikalste Trennung kann uns trennen.
    Aljoscha las, bis auch ihm die Augen bluten wollten. Er las, bis er SIE am Rand des Morgengrauens fand, wartend auf etwas, das dem Wind der Einsamkeit standhielt und die Wirren der Nacht durchquerte, vorbei an den herabfallenden Vögeln, über die Erde, die einsame Tode barg; SIE, festgehalten in ihrem

Weitere Kostenlose Bücher