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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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überlegene Geschlecht, Herr Cosimo, nur glauben das die meisten Frauen nicht. Dabei könnten sie demalbernen Treiben zusehen, als wären sie die Sterne, die alles schon längst wissen… Herr Vecchio, sind Sie noch wach? Hören Sie? Diese Hypatia, das war auch eine glänzende Mathematikerin, und die Schulpreise für Mathematik gingen nur deshalb lange nicht mehr an die Mädchen, weil die keine Lust hatten, gesteinigt zu werden! Aber das versteht sich doch von selbst, daß der stille Waliser den Heiligen Gral gefunden hat und nicht eine stille Waliserin! Oder glauben Sie an die Notwendigkeit, der Vollkommenheit Beine machen zu müssen? Oder eine Taille? Haben Sie gehört, wie Marlene Dietrich sagte: Hello, boys… ?“
    „Seltsamer Junge“, sagte Cosimo der Alte.
    Aljoscha stand noch immer auf der Treppe der Laurenziana-Bibliothek. Etwas in ihm lag brach wie sibirisches Land, trotz des Sonnenuntergangs im Jardin du Luxembourg. „Aber wo fehlt’s denn bei Ihnen?“ schnarrte eine Sachbearbeiterstimme vom Schreibpult der Daseins-Verwaltungs-Angelegenheiten her, eine kleinlaut machende Stimme, der man nur antworten konnte: „Ja, wenn ich das wüßte“ und „Bitte die Störung zu entschuldigen“.
    „Woran denkst du?“ fragte Leda.
    „Ich stelle mir nur vor, wie es war, wenn die Menschen damals einen Ort wie diesen hier verließen – und durch ihre Gärten gingen, um sich Gedanken zu machen…“
    Und er sah in einiger Entfernung eine Miranda und eine Lucrezia beieinander stehen, und sie winkten: nicht übermütig, nicht ausgelassen, sondern wie in Zeitlupe, und nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, so daß die Geste wirkte wie das Wehen eines Schleiers, des Schleiers vor der profundesten aller Wahrheiten.
    „Gärten des Bewußtseins!“ sagte Leda.
    „Was?“
    „Das sind Gärten des Bewußtseins, diese Gärten!“
    „Ja. Stimmt.“
    „Sind wir zu spät geboren?“
    Aljoscha nickte. „Manchmal.“
    „Aber wenn ich im 15. Jahrhundert leben würde, hätte ich auch die Augen des 15. Jahrhunderts, und diese Art zu leben schiene mir völlig normal. Würde ich diese ganze Schönheit dann noch sehen?“
    „Du würdest sie sehen.“
    „Aber anders. Nicht als Zuflucht. Sie würde leben wie ich, und ich wäre besorgt, daß sie stirbt.“
    „Aber das bist du doch jetzt auch.“
    „Ja.“
    „Das Schöne stirbt nicht.“
    „Doch. Wenn die Schönheit keinen mehr hat, der sie sieht, dann stirbt sie.“
    „Wenn wir eines Morgens plötzlich im 15. Jahrhundert aufwachen, sind wir dann wir selbst oder sind wir völlig andere?“
    „Solange ich dich wiedererkenne, können wir gern ganz andere sein.“
    „Aber als ganz anderer in einer anderen Welt würdest du gar nicht auf den Gedanken kommen, mich wiederfinden zu wollen. Und selbst wenn, wie könnten wir uns finden?“
    „Das kann mir keine Zeit wegnehmen. Ich werde dich in jeder Welt erkennen, auch wenn du wie ein anderer aussiehst.“
    „Vielleicht gibt es Kennzeichen… geheime Zeichen. Nur bestimmte Menschen sehen das Zeichen. Oder bestimmte Wesen.“
    „Wesen ?“ Die Hieroglyphen über Ledas Augen bewegten sich, wie ein Falke, der mit den Schwingen schlug. Irgendwo brach Glas mit lautem Klirren. Es schien aus Aljoschas Kopf zu kommen.
    In der Galleria del Costume kam der Geist über Leda. Sie bewunderte die alten Stoffe, den Schnitt früherer Moden, sie studierte die Qualität der Verarbeitung und ignorierte, Zeichen der Ekstase, zwei oder drei Berühren verboten. Ihr Entzücken war ein sachverständiges, und ein schwarzes Charleston-Kleid wurde nicht von einem lasziven Vamp mit Perlenkette und Zigarettenspitze vorgeführt, sondern von der weißen Puppe Nr. 40. Aljoscha aber beschäftigten solche Fragen: welche Contessa hatte einst diese unfaßbar zierlichen Handschuhe von ihren unfaßbar grazilen Händen gestreift? Auf welches Bein hatten diese Spitzenstrümpfe ein Ornament im spätgotischen Flamboyantstil gezeichnet? Erweiterte die eingeengte Taille das Bewußtsein?
    „Ein schwarzer Seidenstrumpf ist wie eine Glasur“, erklärte Aljoscha ungefragt. „Eine Glasur aus Dunkelheit. Geschmolzene Dunkelheit. Die Dunkelheit geschmolzener Träume. Auf dem Bein wie Blattgold auf einer Ikone. Sakraler Glanz eigentlich. Die Haut unter dem Glanz wird unberührbar. Durch den Schutz betont, durch die Betonung geschützt. Stiefel aus göttlichem Lack. Schwarze Rüstung als bloße Idee.“
    „Ein Seidenstrumpf ist ein Kleidungsstück,

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