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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Beatrice einzustimmen mit einer Karaffe Amaretto, jenem Halbhochprozentigen, dessen Mandelaroma so gut zu dem indigoblauen Himmel paßte.
    Florenz bestand aus Stätten, die Aljoscha nur unter Protest wieder verließ. Die Biblioteca Medicea Laurenziana, ursprünglich die Handschriftensammlung Cosimos des Alten beherbergend, dann die erste öffentliche Bibliothek Europas und seitdem Schöner Wohnen für den Weltgeist, war eine solche Stätte.
    Welch geziemender Rahmen für Gelehrsamkeit. Aljoscha stellte sich vor, mit einem schief aufgesetzten Renaissance-Barett auf dem übertrieben langen Haar an einer dieser von Michelangelo entworfenen Studierbänke über eine Passage der Metamorphosen des Ovid nachzusinnen, der Banknachbar ein Jüngling aus Burgund, man käme sich zu Hilfe – freilich würde man dann abschweifen, weil die Liebeskunst doch eigentlich das aufschlußreichere Werk des Ovid war, und weil der burgundische Scholar von seiner letzten Begegnung mit der schönen Lucrezia berichten mußte, die ihm gegen seinen Willen den Kopf verdrehte, und in ihrer Gegenwart sprach er immer wie ein Dummkopf, gestern aber sei sie nach einer harmlosen Neckerei so hinreißend errötet, und sie habe so entzückend „Hinfort mit dir!“ gesagt, daß man schier die Katze aus dem Sack lassen wollte, aber was konnte er denn diesemMädchen sagen? Ob sie vielleicht mit ihm nach Zypern durchbrennen wolle? Vielleicht in einem anderen Leben, in dem er nicht so ein elender Trottel wäre… und wenn sie frei wäre, und wenn er frei wäre – dann würde er womöglich alles tun, um ihr Herz zu gewinnen, aber so wie die Dinge lagen… zurück zu Ovid.
    Was war dagegen die vollklimatisierte, schallgedämpfte Universitätsbibliothek, in der Aljoscha für gewöhnlich sitzen mußte? Ein vollklimatisierter Schalldämpfer. Wälzer, Schwarten und Folianten nur noch in Restmengen präsent, statt dessen das gleichmäßige Summen der Buchbestellterminals. Welch Durchbruch: eine Bibliothek fast ohne Bücher. Welchen Grund hatte das? Platzmangel? Dann reißt man eben ein paar von den Bürogebäuden mit Büros für Büroraumvermittlung wieder ab. Optimierung des Ausleihverkehrs? Man bekam regelmäßig ein Buch zuwenig oder zuviel, oder ein falsches. Verbrechensvorbeugung? Bücherdiebstahl ist ein Verbrechen aus Leidenschaft. Ärgerlich, aber wenigstens nicht geschmacklos.
    Nichts lockte zum Verweilen in diesem sterilen Bau, der garantiert nicht ab aeterno existierte, in dem es keine undefinierte Zahl sechseckiger Galerien gab und keinen der drei verbliebenen Bände mit den neun Illustrationen, durch die sich die neun Pforten der Unterwelt öffnen lassen, keine Ausgabe des Necronomicon oder des gnostischen Evangeliums von Basilides und nicht einmal einen unsterblichen Zeitreisenden, der in einer Ecke sitzt und die Pläne studiert für den Rückweg in das frühe 19. Jahrhundert. Wer nicht schon vorher wußte, was er finden wollte, hatte nichts zu suchen hier. Jedem, der sie betrat, demonstrierten diese Hallen, wofür man da war: für ein schnurgerades und pragmatisches Dasein, für den rasanten Rutsch in die Karriere, die genügend Geld abwirft, um andere Leute mit dem Zweitwagen über den Haufen fahren zu können. Da man aber eigentlich so gut wie nie die angeforderten Bände erhielt, machte diese Bibliothek noch etwas anderes klar: wer funktionaler Brauchbarkeit anheimfällt, bekommt womöglich nie, was er begehrt.
    Aljoscha wünschte dem Jüngling aus Burgund viel Glück und blickte sich noch einmal um. Es gibt Dinge, die einen fragen, ob man eigentlich ein Zuhause in der Welt hat. „Was hast du eigentlich vor, Aljoscha?“ – „Ich will eine Abhandlung verfassen über die These, daß Fortuna keine Hure ist, die man zweimal kaufen kann.“ – „Ah ja.“ – „Oder über die These, daß die meisten Kreuzküsser vor dem Herrn, wenn esmit den Dingen zuginge, an die sie glauben, die Hostie wieder erbrechen müßten.“ – „Na viel Spaß noch, Blödmann.“ – Oder auch nur Laute spielen und den Hals riskieren, wenn man in Gegenwart des dicken Fürsten Verse auf die Fürstin vortrug, nur irgendwo sein, wo noch eine Idee war und nicht nur Hühnerschiß. Was konnte in diesem Jahrhundert einer werden, der sich Lieben und Lernen auf die Fahne geschrieben hätte? Was galt einer, der darin Aufgabe genug sah? Wohin mit einem, der grimmig einen Fuß vor den anderen setzte zwischen Wohnblocks und Kaufhäusern und dabei dachte: Besser, Pferdeknecht zu

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