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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Aljoscha.“
    „Festgezurrt wie das Jagdkleid der Artemis! Schwarzes Licht, das sich über einen Schenkel ergießt! Unterweltsgöttinnenhülle!“
    Sie besuchten Santa Croce. Verweilten unterschiedlich lang vor den Franziskus-Fresken. Kamen sich abhanden im Gedränge. Als Aljoscha Leda wiederfand, saß sie blaß auf einer Bank.
    „Wo bist du gewesen?“ fragte er.
    „Ich habe hier auf dich gewartet, und auf einmal hatte ich ein ganz sonderbares Gefühl – nein, ich war erschrocken, als hätte mich jemand berührt… ich drehte mich um, und da stand dieser – “
    „Wer?“
    „Ein Padre. Er sah mich an. Ich weiß, daß er mich schon lange angesehen hat.“
    „Hat er dich angesprochen?“
    „Nein. Er sah mich nur an. Aber er sah mich so traurig an, daß es mir unheimlich war. Sein Blick war zum Schaudern. Dann ging er einfach weg.“
    „Vielleicht blickt er immer so ernst.“
    „Es war nicht Ernst, Aljoscha. Es war Trauer .“
    „Beunruhige dich doch nicht. Mancher trauert um die ganze Welt.“
    „Ich fühlte, es galt mir.“
    „Das kann nicht sein.“
    „Manche Menschen wissen, was sonst niemand weiß.“
    „Aber nicht, weil sie eine Soutane tragen.“
    „Weil sie sehen, was noch nicht ist. Ich glaube daran.“
    „Aber was sollte er denn gesehen haben?“
    „Das weiß ich doch auch nicht. Irgend etwas Schreckliches in meiner Zukunft.“
    „Was immer er gesehen hat, es geschieht nur über meine Leiche.“
    „Ach, Aljoscha – deine Leiche gibt es nur über meine Leiche…“
    Vorbei an den stoisch ihr Leid ertragenden Kutschpferden mit den Futtersäcken um den Hals und in die Stunde des Sonnenuntergangs.
    Der Sonnenuntergang! Aljoscha lief auf eine Brücke, um die ganze Pracht dieses Schauspiels bewundern zu können. Die Sonne sank in das Flußbett des Arno. „Es sieht unglaublich aus von hier!“ rief er von der Brücke aus. Leda war ihm nicht gefolgt.
    „Wir wollten zur Pension zurück, Aljoscha!“ Nach all den Gängen durch Bibliotheken, Kirchen, Gassen und Museen hatte Leda ebenkundgetan, daß sie erschöpft sei und jeder weiteren Unternehmung ein wenig Rast im kühlen, stillen Zimmer vorzöge.
    „Aber es ist überwältigend!“ rief Aljoscha.
    „Bitte, komm jetzt!“
    „Ja, ich komme!“ – Aber er konnte sich nicht losreißen von diesem Anblick. Jetzt begann der Abendhimmel, seine dunklen Schwingen über der errötenden Sonnengöttin auszubreiten. Keine andere Sonne, als Dante Beatrice sah. Keine andere Sonne für irgendein Streben. Dies war die Sonne über Eros.
    „Aljoscha!“
    „Aber das sehe ich vielleicht nie wieder!“
    „Mich siehst du auch nie wieder!“ rief Leda und eilte davon.
    Er hatte sie bald eingeholt, doch verstrichen noch Minuten, bis ihr Zorn verraucht war. Aljoscha beschloß, Gunst oder Ungunst der Stunde zu nutzen; er stieg auf einen Mauervorsprung, der ihm als Podest gerade recht kam, und hielt eine Rede.
    „Versammelte! O Volk! Stehe ich hier vor euch, um meine Unschuld zu beweisen? Keineswegs! Dies ist nicht die Zeit für große Worte. Dies ist die Zeit, in der ein Fräulein einen Zustand hat! Grund genug, langen Redensarten ein schnelles Begräbnis zu geben. Zumal es sich um eine Lappalie handelt. Ein Pappenstiel! Und doch bin ich gezwungen, respektvoll, aber mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß ich – jawohl, ich, ruchlos genug, hier zu stehen und die Stirn zu haben, statt diesen Nöten sofort ein Ende zu machen – daß also ich, Nichtswürdiger, der ich bin… seit der Stunde, da wir den Boden dieser Stadt betraten – seit dieser Stunde! Und in jeder Stunde, die schon war, und in jeder, die noch kommt! Ja, man kann sagen, ich nahm es mir schon vor an dem Tag, da meine Mutter sagte, dieser Junge soll Aljoscha heißen! Ist es womöglich nur so, daß der Kopf nicht richtig draufsitzt auf dem Hals? Ruft da einer: nimm die Mottenkugeln aus dem Hirn –?“
    „Ach wo!“ rief das Volk.
    „Worum es geht, das ist eben jene so bestechende Fähigkeit, an einer Sache, an irgendeiner Sache das Eigenartige, das Bedeutsame und ich möchte sagen das überhaupt Wesenhafte zu entdecken – das, was nebensächlich scheint, der Nichtbeachtung zu entreißen, Details zu bemerken, die sonst keiner sieht – das ist die Gabe des neben mir stehenden Weibes! Davon ist zu reden, oder vielmehr, davon gar nicht, sondern davon, daß diese Gabe, um es kurz zu sagen, und vielleicht nicht schmerzlos, aberwas ist Schmerz? O ihr Unschuldslämmer! Hing da nicht ein Gott am Baum?

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