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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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sein an einem Mädchenpensionat, im Jahre 1900!
    Freilich, es hatte diesen einleuchtenden Augenblick gegeben letztes Jahr, als er in Paris war und beim Sonnenuntergang im Jardin du Luxembourg von seinem Buch aufsah, weil es ihm plötzlich so erschien, als sei er eben an sich selbst vorbeigegangen mit den Worten: „Der da sitzt, das ist Aljoscha Tuschkin, der die Philosophie studiert und Leda Geltzer liebt“, und ein Glücksgefühl durchströmte ihn, weil alles auf so unfaßbare Weise richtig schien, diese Stadt, der Sonnenuntergang, der Park; das, was alle taten in diesem Park, und das, was er, Aljoscha Tuschkin, in diesem Leben tat.
    Während er noch an diesen Glücksmoment dachte, spürte Aljoscha, daß da etwas näher kam aus einem Korridor. Sehr bestimmt und würdevoll, indes sehr langsam. Es war die leere Fülle einer Entität, und sie schien ein Zipperlein zu haben.
    „Ähem“, machte die Entität. „Hörte ich Lieben und Lernen ?“
    „Jawohl! Zu lieben lernen und das Lernen lieben! Wissenwollen, Liebenwollen! Nicht wahr, das ist doch Philosophieren?“ rief Aljoscha.
    „Liebenwollen? Hier in meiner Bibliothek?“
    „Sind Sie nicht Herr Cosimo, der große Förderer der Künste? Der es Marsilio Ficino ermöglichte, hier in Florenz eine platonische Akademie zu gründen?“
    „Nun ja. Kann sein. Ficino, sagst du?“
    „Man hat etwas überaus Bedeutendes herausgefunden, Signore de Medici! Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen davon Mitteilung mache. Philosophie, das heißt doch Liebe zur Weisheit. Und die Götter, Herr von Medici, die Götter philosophieren nicht. Denn sie sind ja weise. Nicht wahr, was soll man da philosophieren? Und die Liebe, was ist das? Besitzenwollen und zugleich das Gegenteil von Besitz. Sie stimmen zu?“
    „Si, si“, gähnte Cosimo der Alte.
    „Die Weisheit ist also bei den Göttern. Das Streben nach Weisheit ist Sache der Menschen. Und die logische Folge daraus ist: alles Philosophieren ist erotisch. Ich weiß, Sie wollen sagen, das ist keineswegs die logische Folge. Gut. Schön. Warten Sie… hier, Platons Symposion ! Schlagen Sie es auf, Herr Cosimo, und berauschen Sie sich daran, wie Sokrates der Vorstellung, Eros sei ein Gott, den Wert einer zermatschten Weintraube beimißt. Eros ist kein Gott! Eros ist ein Daimon. Ein Zwischenwesen ganz einfach. Nicht irdisch, nicht göttlich, sondern dazwischenseiend, wissen Sie? Und zwar für immer. Und Eros ist so dazwischen, eben weil er das Göttliche begehrt. Das heißt, wo Eros wirkt, da ist das Irdische unterwegs zum Göttlichen. Das ist brillant, nicht wahr? Wie kann man da widersprechen? Eros strebt, weil er verlangt. Also ist das Streben erotisch! Das ist doch wohl die logische Folge! Wenn Eros uns antreibt, begehren wir Göttliches. Sie wissen das alles, Herr Cosimo, und Sie wissen, welche Macht es ist, die diesen Daimon anzieht. Die Schönheit! Schon in der Sphäre der Ideen, das sagt doch Platon, ist Schönheit die Idee, die glänzt wie keine andere. Ja, daß sie überhaupt glänzt! Wie kann eine Idee glänzen? Sie kann, sie muß! Damit wir uns an sie erinnern, wenn wir die Schönheit treffen, hier im Irdischen! Denn die Schönheit will, daß wir das Göttliche in ihr verlangen. Und nun, wenn wir begriffen haben, mein lieber Vecchio, daß die Schönheit so göttlich wie die Weisheit ist, was dann? Dann ist der ein Philosoph, den das Schöne – ich darf so sagen – erotisiert. Er strebt zum Göttlichen, ganz wie einer, der nach Weisheit strebt. Das hat man herausgefunden! Ist das nicht großartig? Philosophie ist erotisch, und Erotik, Herr Cosimo, ist Philosophie. Und nun erklären Sie mir, warum der große Sokrates behauptet, sein ganzes Wissen über Eros einer Priesterin mit Namen Diotima zu verdanken. Gar nichts soll das nicht sagen! Was für ein Zufall soll das sein, daß die Weisheit weiblich ist? Ist es vielleicht Zufall, daß Eva anfing, mit der Schlange zu verhandeln? Was, frage ich Sie, nimmt Eva aus dem Paradies mit? Einen nicht mehr einholbaren Vorsprung an Autonomie gegenüber diesem Obrigkeitshörigen, diesem Gesetzesfanatiker Adam. Ist es vielleicht auch Zufall, daß die schöne Hypatia, diese glänzende Philosophin aus Alexandria, gesteinigt wurde von einem christlichen Mob? Wie? Und daß Dante von Vergil durch die Hölle geführt wird, von Beatrice aber durch alle neun Sphären des Paradieses, vom Mondhimmel bis zum Kristallhimmel und zur Anschauung des Göttlichen, ist das auch Zufall? Die Frau ist das

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