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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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ihr Eigenleben. Ich erschaffe dieses Wesen unter meinem Blick. Wenn ihre Augenhöhlen diesen Blick zurückwerfen, bricht das Phantasma zusammen. Der Betrachter begreift,daß er gar nichts gesehen hat. Er hat vergessen, daß die Sphinx nur menschlich ist und nur sie selbst. Auch sie versteckt ihre Hoffnungen und muß traurige Spiele mitspielen. Auch sie versteht die Welt nicht. Auch sie erlöst nicht von der Sehnsucht nach dem Sinn. Sie hat dieselben Fragen und dieselben Zweifel. Man kann die Einheit mit der Welt nicht in der Sphinx finden.“
    „Aber man kann die Einheit mit der Sphinx in der Welt finden“, meinte Aljoscha.
    „Dein Wort in irgendeinem Ohr, aber wie leicht sagt sich das…“
    „Ja, das sagt sich so dahin…“
    „Nun, wenn du es sagst, hat es immerhin – “
    „Nein, hat es nicht!“
    „Hat es nicht?“ stutzte Pjotr. „Ja, was denn nicht?“
    „Du willst Katzenaugen für die Sphinx? Sie hat schon Katzenaugen!“
    „Also, ich verstehe nicht ganz, mein Bester…“
    Aljoscha legte die Karten auf den Tisch, obwohl es Karten ohne Bilder waren. Es gab kein Wissen, aber Pjotr sollte es wissen. Aljoscha beschwor ihm seine Sphinx, die Katzenmenschenfrau, und sagte auf gut Glück: „Was ich in ihr sehe, ist nicht da, weil ich es sehe. Es ist da, und ich sehe es.“ Und er versuchte zu schildern, wie sich diese Geschichte, seit der Nacht des 28. April, irgendwie in der Tiefe eines Spiegels zutrug.
    „Ein Spiegel“, sagte er, „in dem etwas anderes geschieht als das, was das Spiegelbild zeigt.“
    „Aber wenn du das schon weißt, mußt du ja durch den Spiegel gegangen sein.“
    „Jedenfalls, das Spiegelbild sorgt dafür, daß niemand sieht, was dahinter geschieht.“
    „Vielleicht ein Spiegel, der für die Realität erblindet“, sagte Pjotr. Er produzierte einen Luftstoß aus tiefster Lunge, wie um Staunen wegzupusten. Kleine Wölkchen des Erstaunens. „Und weiß Leda um das alles?“
    „Leda gefiel schon die Konfekt-Geschichte nicht. Sie sagte, ihr würden niemals wildfremde Menschen Konfekt schenken.“
    „Mir auch nicht.“
    „Mir ja sonst auch nicht.“
    „Unsereins muß sich das Zeug schon selber kaufen.“
    „Wenn man Konfekt mag…“
    „Aber das war ja auch nicht die Person, um die es geht.“
    „Ich habe nie mit dieser Frau gesprochen, und ich habe sie kaum angesehen, das ist die nackte Wahrheit, und keine Wahrheit war je nackter. Das ist, was Leda weiß, aber das zu wissen heißt ja, nichts zu wissen. Die Realität erblindet, nicht der Spiegel.“
    „Ich bin perplex“, sagte Pjotr. „Andererseits auch nicht! Aufklärung im Mystischen, jenseits des Verstand-Gebabbels! Die Wirklichkeit hat Schichten, und dazwischen sitzen die Götter und wünschen gute Besserung, und wir nicken dazu unser Nixverstehernicken. Wir Menschen! Wir müssen das Gespött des ganzen Universums sein. Ein Lachschlager im Andromeda-Nebel. Ich meine, mir fällt es schwer, irgendwie zu begreifen, daß ein Mensch, der sich mit Lichtgeschwindigkeit von der Erde entfernt und nach einigen Runden um den Jupiter wieder zurückkommt, nur unmerklich gealtert sein soll, während seine Zeitgenossen mittlerweile Greise sind.“
    „Ich glaube, das Wort ‚Zeitgenossen‘ ergibt da keinen Sinn mehr.“
    „Richtig. Und wenn jeder in seiner eigenen Zeit lebt, soll die Wirklichkeit nicht vielschichtig sein? Was du da erzählst – es läßt mich denken, daß wir mit einer Freiheit umzugehen meinen, die es gar nicht gibt.“
    „Weiß der Himmel. Ich habe keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Aber es kommt auf mich zu, rasiermesserscharf. Manchmal reicht es nicht, nur ein Paar Lider zu schließen. Man bräuchte ein zweites. Was in meinem Herzen ist, scheint mir so weit weg von der Realität, und ich weiß nicht mehr – wer will es haben? Wem kann ich es geben? Ist da ein Riß, oder bilde ich ihn mir ein, weil ich Zeichen sehe, die keine sind? Der Fels, von dem es hieß, er würde niemals bröckeln. Er bröckelt.“
    „Wo, sagtest du, ist Leda?“
    „Auf einer Tagung von Restauratoren.“
    „Ist sie denn schon Restauratorin?“
    „Man zeigt sich da rechtzeitig.“
    „Wann kommt sie zurück?“
    „Morgen jedenfalls nicht.“ Pjotr hatte Fragezeichen im Blick. „Morgen“, erklärte Aljoscha, „sind wir auf den Tag genau zehn Jahre zusammen. Wenn auch mit Unterbrechungen.“
    „Gottverdammt. Und diesen Tag wirst du allein verbringen?“
    „Früher hätte ich mich deshalb schlechter gefühlt. Wahrscheinlich

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