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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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wie kann in einer Liebe, die Gedankenlosigkeit und Halbherzigkeit nicht kennt, jemals Anlaß zur Eifersucht bestehen? Seit jener Bagatelle, die ein Techtelmechtel Ledas mit Yuri genannt zu werden nicht einmal verdiente, litt Aljoscha unter langsamer Intoxikation durch den Glauben, daß er besser daran täte, Ledas Namen zu vergessen, weil es nicht der Name der Einen und Einzigen sein konnte, mochte sich auch täuschend echtes Glück in beider Seelen schmeicheln. Und er übte das Stillstehen am Meer, um das Lied der Undinen zu hören, deren Gesang verhieß, woran es den Tatsachen des Lebens ermangelte. Wenn man das Unmögliche nicht will, ist gar nichts möglich. Vage Hoffnung auf die Erreichbarkeit des Unerreichbaren ließ Aljoscha Mal um Mal sein Boot hinausschieben auf die gespenstisch dunkle See. So wurde er Ledas Liebe und ihr Fluch, jahrein, jahraus.
    Leda verstand nicht, was ihn ewig fort zog. Sollte sie auf seine Rückkehr warten, sollte sie noch darauf hoffen? Sie malte sich die Ufer aus, die ihn empfingen, viele Nächte entfernt, und mit jedem Vollmond erschien es ihr sinnloser, Ausschau zu halten als gramerfüllte Hafengöttin. Und doch war nie der neue Morgen ausgeblieben, an dem sein Boot als Punkt am Horizont erschien.
    Daß Aljoschas Weltumsegelungen allemal im selben Hafen endeten, bewies nicht so sehr, daß die Erde wohlgerundet war, als vielmehr, daß sich das Dasein in Zyklen bewegte. Kein Gestade, an dem Aljoscha mehr tat als in einem Zukunftstraum zu leben. Küsse anderer Mädchen waren wie Salz in einer Wunde, und er hatte nicht einmal den Wunsch, mehr zu geben oder mehr zu fordern. Er wartete vergeblich auf den Einbruch einer unerklärlichen Macht.
    Leda stand nicht mehr am Strand wie eine Statue. Stets kam die Stunde, da sie kehrtmachte und in der Hafenschenke Blicke anderer Männer auf sich fallen ließ. Und wenn Aljoschas Boot wieder vertäut war, vernahm er die Namen dieser Männer wie ein böses Gerücht, und der Makel wurde wieder sichtbar wie ein Menetekel, und die Undinen sangen immer schöner, und bald wußte er nicht mehr, wie dieser ganze Teufelskreis begonnen hatte.
    Und dann erschien das Mädchen Larissa, mit langen roten Haaren und einem nie gelösten Geheimnis, wie ein schönes Gleichnis der Trauer, und zum ersten Mal hatte Aljoscha das Gefühl, daß er Zwiespracheabhielt mit etwas tief Verborgenem. Und sie küßte den, der sie verraten sollte. Und Leda sah dies. Und Aljoscha sah, daß Leda dies sah. Und besiegelt war, daß er der Schänder ihrer Liebe war auf ewig.
    Und doch führte er Larissa ihrem Schicksal zu, das da war, geopfert zu werden, führte er sich selber seinem Schicksal zu, das da war, der zu sein, dem zu vergeben war. Als Larissa zum letzten Mal aus seiner Tür ging, sagte sie: „Ich wußte es von Anfang an“. Und Aljoscha dachte zum ersten Mal: Sterne, ihr habt das Schicksal zu groß für mich gemacht. Und Leda vergab ihm, dem zu vergeben war.
    „Du hast keine Lust mehr, nicht?“ fragte Leda.
    „Das ist keine Frage der Lust“, antwortete Aljoscha. „Notwendigkeit ist eine Frage des Stehvermögens.“ Und zwar seit der Auswanderung Abrahams.
    Man verlangte von Leda nicht nur, die Restaurierung des wunderlichen Orpheus mit akkurater Nadel durchzuführen, die Kommission wünschte zudem eine Dokumentation des gesamten Arbeitsvorgangs in allen Details. Leda mühte sich seit Tagen mit der Schreibarbeit, Aljoscha half ihr nach Kräften, doch vorwärts ging es nur im Zickzack, und wie sagt Majakowski in Tja, könnten Sie… ?: „Könnten Sie ein Nachtlied flöten auf einem Wasserleitungsrohr?“ Im Augenblick schien die Moral dahingerafft.
    „Jetzt muß ich mich leider empfehlen“, sagte Aljoscha und holte an keiner Kette keine Taschenuhr hervor, auf die er nicht blickte. „Mich rufen dringende Geschäfte.“ – Es war nach Mitternacht, und höchstens rief der Bettzipfel. Aber was an jedem anderen Tag bloßes Geschwätz zur Selbst-Stimulierung ist, ist womöglich am Tag X nicht einmal mehr ein fauler Witz. David Hume erkannte dieses Phänomen als Induktionsproblem. Als Leda jedoch schroff entgegnete: „Was hast du denn jetzt noch zu tun“, da sungen drei Engel ihr Miser! Miser! in die kalte Nacht.
    Am Ende dieser kalten Nacht, als Ledas Bericht so gut wie fertig war, wußte Aljoscha über den wunderlichen Sänger Orpheus alles, was er wissen mußte. Am Ende dieser kalten Nacht war es doch noch warm geworden. Und es hallte durch die Korridore: wenn der Mond

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