Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
Vom Netzwerk:
durchströmt… und da kommt auch schon unter zerknirschtem Herr-vergib-Gemurmel ein stockfleckiger Priester angelaufen, lange ist es her, daß er ein süßes stigma diaboli auf einem süßen Körperteil entdeckt hat, und findet den heiligen Ort entweiht… dabei ist gerade ein Wunder geschehen. Immanenz hat sich in Transzendenz verwandelt und die Einzelhaft, die jeder zu verbüßen hat in seinem Ego, hat Aufhebung gefunden in gegenseitiger Amnestie.
    Das Vollkommene muß existieren, sonst wäre es nicht vollkommen, so will es der Ontologische Gottesbeweis, und so wollte es auch Aljoscha Tuschkin. Jahr für Jahr hatte er mit einem Schädel voller Unsinn die Welt durchtaumelt, als wäre sie eine falsch aufgestellte Kulisse, auf der Suche nach dem rätselhaften Brautgemach und der Traumbefangenen, die darin wohnte; sie würde es erlauben, daß er über ihren Fiebern Wache hielt, ihre Liebe so hell wie der Mond in einer klaren kalten Winternacht und so düster endgültig wie Klostermauern, ihr Leib ein Tempel göttlicher Arithmetik, in dem die Wollust sich addiert zu sublimsten Subtraktionen; entrückt wie eine Maid, die sich im Wald verirrt mit einem Märchenkuchen, mit neuartigen Genüssen liebäugelnd wie die Empfangsdame der Hölle, mit nervösem Stolz durchs Gewühl der Menge schreitend wie das Zigarettenmädchen einer Bar, schneeweiß und schwarzmagisch – dieses paradoxe Fabelwesen zu ersehnen, hatte Aljoscha selbst zum Einhorn gemacht, also bitte, daß man mit solchen Menschen auf einem Planeten lebt, früher jagte man sie auf Gralssuche und fertig. Aus. Rufungszeichen. Gedanken. Strich.
    Den ersten Kopf nannte Pjotr Aufbruch. Es war der Kopf eines Kindes. Aufgebrochen ist die schützende Hülle, aufgebrochen ist das kleine Wesen in ein Leben der Schatzsuchen und Fundsachen. Augenlider wie Schmetterlingsflügel für das befreite Staunen: hierhin, dorthin flattert es, entdeckt Wunder im Garten der Unendlichkeit, in dem die Kleinen noch nicht wissen, daß sie existieren. Jeder Blick läßt eine Blume sprießen und wundert weiter an immer neuen Blumen, ganz und gar davorvergessen und nicht danachbesorgt. Erst später, wundgewundert, wirdZusammenhang gesucht und gefunden als ein unentwegt zerreißender. Und als Sehnsucht nach den Wunderblumen. Hat das Dasein eine Inschrift, die den Weg weist? Gibt es in dieser Symphonie ein Leitmotiv, für das man seine Instrumente stimmt? Nichts davon. Den Sinn des Lebens gibt es nicht.
    Zehn Jahre war es her, daß Aljoscha mit seinen Freunden Yuri und Anton bei einem Landausflug auf dem Reiterhof Quartier genommen hatte, auf dem Antons jüngere Schwester ihrerseits die Ferien zubrachte. Zehn Jahre seit dem ersten pastellfarbenen Kuß, der das 15jährige Mädchen ebenso überrascht hatte wie Aljoscha selbst. In einem der Korridore, die zu den Reitställen führten, hatte sich Leda plötzlich zu ihm umgedreht, reflexhaft, absichtslos; ebenso plötzlich lag sie in seinen Armen. Und dann, gleich nach diesem Kuß, hatte sie ihn mit einem so nachdenklichen Blick angeschaut, als ahnte sie die Irrungen und Wirrungen voraus, die auf sie warteten. Die Zeit, die ozeanische, belud Leda mit dem Kreuz, zu dem ihr Gefühl für Aljoscha sie verdammte.
    Leda war das erste Mädchen, das Aljoscha mädchenzärtliche Briefe schrieb. Ein Herbstmonat verging, ohne daß sich die Verwunderten in ihrer Verwunderung zurechtgefunden hatten. Dann geschah es, daß ausgerechnet Yuri, in bester Stimmung wie der König von Humpabumpa, Leda ein wenig zu nahe kam. Eine harmlose Sache natürlich, schreiend nichtiger Anlaß, aber nicht so nichtig für Aljoscha Tuschkin, der, ohne darauf im mindesten vorbereitet zu sein, fühlte, wie Eifersucht in ihm Gestalt annahm, zischend wie geschmolzenes Blei, das in kaltes Wasser gegossen wird. Aljoscha beugte sich zum ersten Mal seiner verrückten Idee, verbeugte sich und räumte das Feld. Leda fand grotesk, wie Aljoscha die Angelegenheit hochspielte; wenn Leda Yuri gewisse Vertraulichkeiten erlaubte, was war das schon! Wenn sie ihm nicht gerade schöne Augen machte, seine Annäherungen aber auch nicht gerade mit einer Ohrfeige konterte, was war das schon!
    Ein Herz im Rinnstein, das war es. Das, wohin es kein Zurück gab. Das Ende aller Dauer noch vor einem wirklichen Anfang. Wie sollte er denn sonst lieben? Mit der weisen, zurückhaltenden Güte eines Vaters? Aljoscha wußte wohl, daß man sich ringsum an den Kopf gegriffen hätte, wenn seine Unverhältnismäßigkeit publik

Weitere Kostenlose Bücher