Alkor - Tagebuch 1989
so sehr mein Typ. Beide sprechen gut deutsch. - Leider geht von ihnen (beide über
20) eine sonderbare Leere aus. Sie sitzen herum und dösen.
Gestern kam noch ein Student aus Amerika, wir lernten ihn in Thaos kennen. Ein bißchen Streber, kleiner fettiger, schwitziger Typ. Auch anstrengend! Er war 19 Stunden unterwegs. Den ganzen Abend hat er versucht, seine Mutter anzurufen und ihr zu sagen, daß er gut angekommen ist.
Ich komme mit M/B gut voran. Jonathan ist bereits über der Ostsee. Die Notizen von den Polen-Reisen leisten gute Dienste. New York - Bremen - das ist nicht so weit wie Hamburg - Danzig.
Mit dem«Sirius»bin ich nun im November angelangt, mit dem«Echolot»pausiere ich etwas. Manchmal gehe ich ins Arbeitszimmer, nachts, und lasse das Gerät aufflimmern und rufe irgendeinen Tag auf, ob da schon was steht.
Die Hitze macht mir zu schaffen. Nicht mehr der Jüngste sein. - In Bautzen war ich lange Zeit der Jüngste. Nach der Entlassung war ich dann plötzlich uralt. Eine relativitätstheoretische Erfahrung.
Vorgestern war ich bei der Breuel in Hannover zu einer kulturellen Zusammenkunft mit Industriellen. Nachdem ich meinen Golf neben den schwarzen Mercedessen abgestellt hatte, geleitete man mich in das Chauffeurszimmer. Die Chauffeure waren es, die den Irrtum sofort bemerkten. In der Kulturrunde redete ich ziemlich wirres Zeug. Allgemeines Befremden unter den Bankern. Für Literatur sind die Ehefrauen zuständig, das merkte ich schnell, die Herren von der Industrie lesen wohl nur Bilanzen. Ich fühlte mich derartig deplaciert, daß ich schon bereit war, einen Skandal zu provozieren, mich auf den Teppich zu schmeißen und einen Zusammenbruch zu inszenieren. Alles vollkotzen. Aber dann holen sie einen Arzt, und der sagt dann später zur Breuel:«Nihil. Der Mann hat einen Vogel.»- Oder sie schaffen mich ins Krankenhaus, und Hildegard kriegt einen Riesenschreck. Wenn ich hätte kotzen können, hätte ich’s getan, aber das hatte ich nicht«drauf». - Was die Leute wohl gedacht haben. - Aber was die Breuel erwiderte, war auch ziemlich dämlich. Inmitten von Bankern erwiderte sie auf meine Taschenbuch-Schimpfereien: Ich sollte mal an die Fließbandarbeiter denken, die hätten keine Gelegenheit, sich selbst zu verwirklichen! Das sagte ausgerechnet die Breuel ! Zeitweilig schrie ich völlig unkontrolliert in die Gegend.
Der Hitler-Tagebuch-Onkel, wie heißt er noch, der jetzt in Emden Kultur aufbläst - Nannen, fiel mir noch in den Rücken. Als ich im Bezug auf Taschenbücher sagte:«Der Herr Nannen wird sich doch auch keine Reproduktion an die Wand hängen!»-«Doch!»sagte er.«Wenn sie gut ist?»Daß ich ihm das nie vergessen werde, hat leider überhaupt keinen Sinn.
Beim Essen den Generalvertreter von Sony am Tisch. Ein ganz vernünftiger Mensch. Er redete mir begütigend zu. - Einen schlechten Eindruck machen, macht vielleicht doch Eindruck. Colloquium für Teilnehmer beider Fakultäten in Nartum, zehn Leute von 80 kamen. Thema:«Werkstatt eines Autors». Das kalte Buffet kann noch so jämmerlich sein, die Leute freuen sich doch darüber. Thomas Mann hat es 1949 gestört, daß die Deutschen in Frankfurt über die Happen hergefallen sind. Das tun
sie noch heute. Aber wieso sollte einen das stören? Ist Hunger oder Appetit denn was Unanständiges?
Ich zog einzelne Gäste in eine Ecke und stellte ihnen meine Plankton-Fragen. Ganz gutes Ergebnis.
Nartum
Sa 8. Juli 1989
Bild: Nervenkrieg um«neue Freundin»/ Boris ist doch kein Sex-Hengst
ND: Tagung der Politischen Beratenden Ausschüsse der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages begann
Bloch: Ein Mann seines Alters und seiner Bildung durfte nicht so irren. - Weil er schlecht sah, dachten die Studentinnen, er kann auch schwer hören. Nette Story mal gehört. -«Verfremdungen»:«Was man erlebt, ist randlos offen. Woran man sich erinnert, das rahmt sich.»- Von einer solchen Prosa lassen sich junge Autoren leicht ins Bockshorn jagen. Wer sich jedoch auf sie einläßt, hat reichen Gewinn davon.
Was das Rahmen angeht: ich denke bei Bloch sofort an eine unordentliche, unsaubere, dunkle Wohnung, im denen sich Geschmacklosigkeiten finden. Geruch nach Küche.
Heute fragt ein Herr aus Idar-Oberstein an, wo er das Buch«Der Bomberpilot»beziehen kann.«Im hiesigen Buchhandel gibt es keine Auskunft …»- Obwohl es lieferbar ist, wird es von den Buchhandlungen oft als«nicht lieferbar»oder«nicht existierend»behandelt. Hierzu gehört auch
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