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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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das«Beethoven»-Hörspiel. Von dem haben die Buchhändler offenbar noch nie was gehört. Ein ewiges Rätsel ist es, wieso die Deutschen sich nicht für die Erlebnisse eines Menschen interessieren, der Phosphorkanister auf sie herabfallen ließ. Der Schock für Matheny nach seiner Befreiung: als er auf dem nahegelegenen deutschen Flugplatz entdeckte, daß die deutschen Jagdflugzeuge, die da noch standen, mit englischen Motoren ausgerüstet waren.

    Die verlorene Form.
    Simone kommt meine Produktivität unheimlich vor. Das sei wie ein Geisterband, von dem immer neue Ideen und Werkstücke liefen, die fielen dann in einen Kasten, und Bittel müsse die Kästen jedesmal ausleeren. - Ja, an Ideen ist kein Mangel. Meine Hauptsorge: sie«umzusetzen». Die Anekdote über Jean Paul, dem die Notizettel aus dem Fenster wehten. Auf ihnen standen die«Blitze», der Donner komme von selber. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß«Blitze», also Ideen, wenn man sie vergessen hat, immer wieder zurückkehren, wenn auch in modifizierter Form.
    Simone hat Angst vor den Hühnern. Hildegard meint, das könne sie verstehen, solche Federtiere seien ja auch unheimlich. Die unendliche Mühe, die sie auf ihre Federpflege verwenden.
    Im Kaleidoskop werden immer dieselben Farben durcheinander geschüttelt, und doch kommt jedesmal etwas anderes heraus. Honigmelone, wohlschmeckend. Johannisbeeren sind zu anstrengend für den Magen. Die Erwähnung von Wassermelonen in T/W. Hat keiner kapiert, daß das mit dem Rußlandfeldzug zu tun hatte, Sommer 1942. Man muß den Leuten alles sagen .

Nartum
So 9. Juli 1989
    Welt am Sonntag: SED-Chef Honecker an Gallenblase akut erkrankt /Ost-Gipfel in Bukarest -«DDR»-Staatschef nach einer Nacht in Klinik vorzeitig abgereist
    Sonntag: Staunen im Norden des Westens. DDR-Kinderbuchausstellung in Hamburg
     
    Australier sind abgefahren, wurde auch Zeit. Kehrt wieder Ordnung ein ins Haus. - Die eine kriegte irgendwie Durchfall. Ich sagte:«Na, was macht dein Durchfall?»-«Willst du mal zugucken? »Donnerwetter. - Ich empfand die Entfernung, die Trennung von der Jugend. Sie nehmen nicht an, was wir ihnen bieten können.«Schnuppe»sind wir für sie.

    Der Ami ist noch da. Er rast mit unserem Auto durch die Gegend und fotografiert unausgesetzt, Lüneburg, Lübeck, Hamburg, Bremen. Tausende von Dias. Irgend jemand hat gesagt, diese College-Lehrer sind ganz arme Schweine, kommen nie irgendwohin. Der sackt ein, was er kriegen kann, Unterrichtseinheiten auf Vorrat. Das hab’ ich auch gemacht damals, aber es nützt nichts, aus Dosen kann man als Lehrer nicht existieren. - Die in der Zeit gefrorenen Erinnerungen unserer Lehrer: der 1. WK spielte eine große Rolle. Max Zander war mal in England gewesen, für den war es wichtig, die dortigen Schiebefenster zu erwähnen, daß die verquellen. Ob es diese Dinger dort noch gibt? Ob die noch immer verquellen?
    Lesung in Hagen (bei Bremerhaven). Wir durften den Hund nicht mit hineinnehmen, alles blankgescheuert.
    Ich sag’:«Dann fahr’ ich wieder ab.»
    Mit Mühe Jähzorn unterdrückt.
    Den Nachrichten war zu entnehmen, daß die Milchquoten leicht gekürzt werden.

Nartum
Mo 10. Juli 1989
    Bild: Deutschlands schönster Tag/Steffi+Boris /Das war Götter-Tennis
    ND: Für ein stabiles und sicheres Europa, frei von nuklearen und chemischen Waffen, für eine wesentliche Reduzierung der Streitkräfte, Rüstungen und Militärausgaben
     
    Hildegard sagt, es sei heute«Wäschewetter». - Sie hat den Munterhund gebadet. Es schien ihm zu gefallen, sonst ist er immer beleidigt.
    Ich zu ihr:«Ich bin der Motor, und du bist die Seele des Hauses. »
    Hildegard:«Ich bin die Beine.»
    Wäschewetter: Im Obstgarten flattern die Bettücher. Gänse
schnattern. - Der Mann von der Dash-Werbung. Was ist aus ihm geworden? Er hatte so schöne vertrauenerweckende Augen.«Dash wäscht so weiß, weißer geht’s nicht.»Ob auch er eines Tages seine Memoiren schreibt? Wie sie ihn beschissen haben? Oldenburg: Fibel, Schreiben. Tafelschrift, wie man es macht, daß die Schrift gut lesbar ist und gut aussieht. Farbige Kreide. - Ob ich das ernst meine mit der farbigen Kreide, fragte mich der Jüngling vom letzten Mal. - Was soll man da sagen.
    Ich rühmte Martin Andersch und die Schönschreibstunden in unserm Nartum-Seminar.«Kalligraphie», dieses Wort haben sie noch nie gehört. Das sinnliche Erlebnis des schönen Schreibens. - Wenn ich als ein Chinese zu ihnen gesprochen hätte, hätten sie mir angehangen. -

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