Alkor - Tagebuch 1989

von Capé, sondern, weil insgesamt der pädagogische Eros verflogen ist, der gab 1933 seinen Geist auf und dann noch einmal 1968. - Gott, was hat das damals für einen Spaß gemacht zu unterrichten! Man hat uns die Eigenfibel in der Hochschule auch ziemlich glühend nahegelegt, ich glaube, ich war der einzige, der das verwirklichte und praktizierte. Ilse Lichtenstein hat’s auch propagiert, eine große Pädagogin, aus Oldenburg, die kennt in der Ossietzky-Universität natürlich niemand mehr.

    Der an sich schöne Tag wurde mir vergällt durch einen Herrn, der seine Memoiren zurückhaben will. Nach einer Suchorgie kam heraus, daß wir sie ihm schon längst zurückgeschickt haben. Vor Monaten schon. Bei so was kommt man in Deubels Küche. Ich war mir meiner Sache sicher, suchte aber trotzdem am ganzen Leibe fliegend die Regale und Korrespondenzen durch.
    I Uhr. - Ich liege im Bett und beobachte einen mottigen Nachtfalter.

Nartum
Mi 5. Juli 1989
    Bild: 40 Jahre versteckt/Von Gorbatschow befreit/Sie leben gern
    ND: Begegnung Erich Honeckers mit BRD-Bundesminister Rudolf Seiters
     
    Ich bekam heute die Funk-Wanduhren von der Firma HACH. Eine hängt im Archiv, die andere in meinem Schlafzimmer zu meinen Füßen, so daß ich immer weiß, wie spät es ist: Ich will’s auf die Sekunde genau wissen! Daß es bereits zu spät ist, dafür interessiert man sich nicht so intensiv.
    Es ist immer wieder überraschend, wenn ich in den Seminaren genau erkläre, was alles man beim Schreiben von Prosa möglichst vermeiden sollte: Die Studenten nehmen so gut wie nichts an. Ihre Arbeiten sehen aus, als hätte ich nie was gesagt. Als hätte ich nie gelebt. Wieso kommen sie zu mir? Das ist die Frage. Vielleicht wollen sie in ihrem Irrtum befangen bleiben, weil sie ahnen, daß sie niemals zum Olymp durchstoßen werden. Sie wollen sich der Selbsttäuschung als einem süßen Rausch ergeben. Ich sah mir alte Videos mit Schriftsteller-Porträts an, die ich gesammelt habe. Die Wohmann bei einer PEN-Veranstaltung, 20 Jahre her! Hans Jürgen Fröhlich mit seiner Frau in der Küche, Rechnungen zur Seite legend, ob man die bezahlen soll oder nicht. Das Feuer flackerte auf dem offenen Herd. Später sieht man ihn mit einer Sense einen Abhang hinunterschreiten. - Eine Sammelsendung
vom«Bücherjournal», ich war gut plaziert, andere fehlten: Wohmann, Härtling. - Die Aufnahme, die sie von mir zeigten, stammt von 1972, ich habe langes Haar und eine winzige Sonnenbrille auf. - Johnson fehlte auch. Die sonderbare Bachmann. Brinkmann beeindruckend. Enzensberger mit hellem Hut in Venedig. Rühmkorf spricht tatsächlich von der«Kampfgefährtin Meinhof». Das ist mir unverständlich. - Ich möchte mich auch einmal mit einem hellen Hut in Venedig filmen lassen.
    Bei Thomas Mann auf S. 614 die Liste der 88 Schriftsteller, die Hitler huldigten. Darunter Arnolt Bronnen, der dann nach dem Krieg die Seite wechselte. - Binding ist auf dieser Liste mitaufgeführt, obwohl er die Unterschrift widerrufen hat.
    Am 8. März 1948, meinem Schicksalstag, schreibt TM:«Wannenbad im Knieen und in der Badehose mit K.’s Hilfe.»

Nartum
Do 6. Juli 1989
    Bild: Spitzensportler gestehen: Wir rauchen
    ND: Freundschaftliches Gespräch Erich Honeckers mit Alvaro Cunhal
     
    Ich muß lachen, wenn ich durchs Haus gehe, von einem Zimmer in das andere; die Lustgefühle werden ausgelöst durch das Bewußtsein, mit Umsicht geplant, und all das durchgeführt, ja vollendet zu haben, was«drin»war. Wünsche bleiben keine mehr offen. Das Palmenhaus, ach ja! Mit Vögeln drin, und dann auf der Wurlitzer-Orgel Kinomusik machen? Und die großen Ventilatoren unterm Dach drehen sich langsam? - Vielleicht ist es ganz gut, wenn Hannover das Archiv nicht nimmt. Die Geldkalamitäten sind erledigt, ich brauche ja überhaupt nicht zu verkaufen. Um mit Hans Moser zu sprechen:«Das habe ich doch nicht notwendig.»- Der Ausbau der Garage kann nicht so sehr viel kosten. Wenn der Innenhof abgezahlt ist, dann kommt die Garage an die Reihe, der Archivraum.

    Zum Kaffee auf meinem Hof, 10 Uhr, ein sanfter Wind, völlig blauer Himmel, innerlich ganz ruhig. - Eine Lerche. - Der Kater langweilt sich, räkelt sich auf dem Boden und maunzt überlaut. Er kriecht hinter mich auf den Sessel. Hühner unter den Büschen. Gesundheitlich bin ich gut auf dem Damm, die Zähne mucksen sich nicht. Das ist die Hauptsache.
    Dierks 19 Uhr. Ich bin ihm für das Oldenburg-Arrangement sehr dankbar, aber ich kann es nun nicht