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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Die gewebten Altarteppiche, die handgeschmiedeten Chorgitter … Hildegard rät mir, in meinen Büchern nichts Negatives über Pastoren zu sagen, sonst kauften die sie nicht. - Wieviele Pastoren gibt es in Deutschland?
    Stünde ich noch am Anfang, dann würde ich mein ganzes Leben für ein vergleichendes Theologie-Studium verwenden. - Zu spät!

Nartum
Mo 3. Juli 1989
    Bild: VW-Arbeiter Kopf angenäht/Er kann schon wieder nikken - ganz vorsichtig
    ND: 150 000 bei der Eröffnung der XIII. Weltfestspiele in Pjòngjang / Machtvolles Bekenntnis für die gemeinsamen Ideale der Weltjugend: Frieden, Freundschaft, Solidarität
     
    Oldenburg: Fibelarbeit und«Schreiben». Die schöne alte deutsche Schrift demonstriert. Ich kann sie nur«sauber»schreiben, kindlich, weil ich mit zehn Jahren auf lateinische Normschrift umgeschult wurde. Aus Australien kam vor einiger Zeit die Anfrage, wie man das große«e»in deutscher Schrift schreibt. Da wollte einer seinen Erinnerungen nachhängen.
    Eine Dame aus St. Goar bietet mir 351 Briefe eines Soldaten aus dem I. WK an. Die Brief-Sammlung wird durch einen zurückgesandten Brief aus der Heimat mit dem Vermerk«Auf dem Felde der Ehre gefallen»beendet.«Einige Kondolenzbriefe runden das Bild ab. Es wäre schade, wenn diese Sammlung weiterhin im Regal verstauben würde.»

    2000: Nie wieder was davon gehört, obwohl um Zusendung gebeten!
     
    Eine Frau schreibt, wir hätten mit unserer Archiv-Annonce eine Lawine bei ihr losgetreten und schickt 2 (zwei) Briefe. Dorfroman: Eine ermüdete Taube ließ sich heute auf der Allee nieder. Ich konnte an ihr vorübergehen, ohne daß sie sich rührte. Am Abend lag da nur noch ein Haufen Federn. Ihr Lebensgefährte leistete ihr zeitweilig Gesellschaft.
     
    Trevor-Roper:«Hitlers letzte Tage». An der Quellenlage kann man verzweifeln. Tr. hat alle möglichen Leute (Zeugen) interviewt, verhört: Wo sind die Protokolle? Man hätte sie schon gerne mal gelesen. Hier wird einem etwas zugeteilt. - Ich bin ein großer Pünktchen-Mißtrauer.
    Ich lese gerade, daß die Schweizer ihre Hochsprache eine«gemäßigte Hochlautung»nennen. Nachrichtensprecher dürfen weder reinen Dialekt, also Schwyzerdütsch sprechen noch reines Hochdeutsch. Sie müssen sich der«gemäßigten Hochlautung»bedienen. - Nach dem Krieg hatten die Österreicher erwogen, in den Schulzeugnissen die Bezeichnung«Deutsch»abzuschaffen.
     
    Elsässisch war von den Franzosen verboten worden und ist es in den Schulen dort noch immer, wie ich höre. So wie bei uns das Plattdeutsch. Hier wie dort regt sich niemand darüber auf. Junge Mädchen, die mal in der Schweiz waren, ahmen das Schwyzerdütsch gern neckisch nach. Sie haben kapiert, daß dies ihren Reizen aufhilft. Das Schwäbische ist dafür ebenfalls geeignet. Das Plattdeutsche hingegen absolut nicht. - In einem Kulturfilm über Schleswig-Holstein mal ein kleines Mädchen auf Platt über Bienen erzählen hören. Unvergeßlich.
    Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso man Müll nicht in unwirtliche Gegenden der Welt schaffen soll. Die Wüste Gobi z. B. Was hat das mit Moral zu tun, wenn da kein Mensch wohnt?

Nartum
Di 4. Juli 1989
    Bild: Gromyko † / Mister«Njet»starb verbittert / Was ist los mit Steffis Vater?
    ND: Honecker führte herzliches Gespräch mit Volodia Teitelboim
     
    7 Uhr. - Hildegard übergießt sich im Innenhof mit kaltem Wasser.
    Ich zu einer Besucherin:«Hier wohnt meine Frau, drüben wohne ich.»
    Sie:«Aber gelegentlich sehen Sie sich doch auch mal?»
    Post: Eine ältere Lehrerin fragt, was sie tun kann, um die Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit zu unterstützen.
    «Olivetti»-Mann war da: Schreibautomat funktioniert nicht. Warum kauft man auch ein italienisches Gerät!
    Oldenburg: Fibelarbeit und«Schreiben». - Ich las ihnen gestern moderne, extrem idiotische Fibeltexte vor (sie sind in diesen Büchern die Regel) und ließ sie Kommentartexte zu Fibeln interpretieren, die ähnlich unverständlich sind, wie«Gebraucchsanwisungen»für Videorecorder aus Korea.
    Das war’ne harte Sache, denn sie kapierten das Abwegige nicht, sondern nahmen alles für bare Münze. Und dann heute mit Siegesfanfare: Vorstellung meiner Eigenfibel. Wenn Begeisterung mitreißt, dann hätten sie mir zu Füßen liegen müssen, aber sie amüsierten sich bloß über meine Vorführungskünste. Niemand wird meine Anregungen aufnehmen. Das liegt nicht daran, daß die Studentinnen aus Norddeutschland sind (Ostfriesland), also etwas schwer

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