Alkor - Tagebuch 1989
sagte, die Weltvorräte an Kohle reichten noch 150 Jahre, die an Öl 15! Ich hab’ mich damals richtig erschrocken. Seither habe ich ein gewisses Mißtrauen gegen wissenschaftliche Vorhersagen.
Aus dem«Spiegel»vom 16.1.1989:
«Auf Wiedersehen, Mathias Rust»
Die Moskauer »Iswestija« über Errungenschaften des Jahres 1988: Wir haben uns von einer Reihe Ministerien und Ämtern verabschiedet, trotz ihres leidenschaftlichen Wunsches, bei uns zu Gast zu bleiben. Wir nahmen Abschied - und verstanden, daß ohne sie zu leben nicht nur möglich, sondern auch nötig ist!
Wir trennten uns von der Stadt«Breschnew», leichten Herzens, und mit wirklich weniger Feierlichkeit als vor einigen Jahren von«Nabereschnyje Tschelny»(so hieß die Stadt bis zu ihrer Umbenennung 1982 zu Ehren des verstorbenen Breschnew).
Dies alles geschah im vergangenen Jahr 1988 - dem Jahr der großen Verabschiedungen. Dafür danken wir ihm dann auch.
Wir danken für den Abschied von der Limitierung der Zeitungsabonnements. 1988 trennten wir uns vom Stempel«Geheim»- in Hunderten von Büchern, deren ganzes Geheimnis aus diesem Stempel bestand. (…)
1988 verabschiedeten wir uns von einigen Orden und Medaillen, nur dafür verliehen, daß der Genosse ein Jubiläumsalter erreicht hatte, ohne der Bevölkerung besonders Schlechtes anzutun. Aber wie lange halten wir das wohl durch?
Auf alle diese Fragen:«Wie lange wird es andauern?»,«Ist es wirklich unumkehrbar?»,«Ist es alles nur so, als ob es gar nicht wahr wäre?», wird nun das kommende Jahr 1989 eine Antwort geben können.
Scheiden tut weh. Wie schwer war es doch, sich vom Gedanken zu verabschieden, daß Millionen von Rubeln verschwendet werden müssen, um durch Tuten und Zischen im Äther unsere Ohren vor der Falschinformation der verlogenen Auslandssender zu retten.
Wie schwer war es zu begreifen, daß es noch eine andere Methode gibt, um Terroristen unschädlich zu machen, als auf sie aus allen Läufen zu knallen. Wir nahmen Abschied von dieser«wahren»Methode. Wir haben vielen Menschen damit das Leben gerettet.
Wie schwer war es, sich von der Vorstellung loszusagen, daß unsere Landkarten nur dazu herausgegeben werden, Spione des Auslands zu verwirren. Abschied: Jetzt kann man einen genauen Moskauer Stadtplan auch hier erstehen, nicht nur in London.
Lebt wohl, Ihr lieben SS-20-Raketen samt den nicht minder teuren Pershings. Adieu, aufregende Wahlen, Auswahl eines Abgeordneten
aus der Alternative eines einzigen Kandidaten. Zur Makulatur mit den Tonnen von Fragebögen für Auslandsreisen …
Auf Wiedersehen [im Original auf deutsch], Mathias Rust, tollkühner Revisor unserer Luftabwehr. (…)
Do swidanija, 1988. Du warst ein gutes Jahr. Auch ein schweres Jahr, und, ehrlich gesagt, es ist gut, daß Du gehst. Noch besser ist es, daß mit Dir eine Menge vermoderter Ideen, falscher Prinzipien und verfaulter Begriffe verschwunden sind. (…)
Hildegard kaufte in der Fischhalle, die unter dem Namen«Freitag»firmiert, Fischfilets. Naheliegend, ein Fischgeschäft«Freitag»zu nennen. Wir allerdings essen diesen Fisch am Mittwoch. Am Nachmittag fuhr Hildegard nach Hamburg. Die Tiere sahen mich vorwurfsvoll an. Ich kann ja auch nichts dafür.
Sich vergammeln lassen, bis der Tod den Rest besorgt. Dem Tode entgegengammeln.
Das Wort«Gammler»ist übrigens gänzlich verschwunden. Gammel = alt.
Post: Ein Herr meint, er habe einen Stoff auf Lager, der, von einem Journalisten aufgenommen, bestimmt sehr spannend sein würde: Über die letzten 100 Jahre der Möbelindustrie gebe es noch kein Buch, erst recht nicht einen Roman, der über drei bis vier Generationen hinweg ein Milieu zeige, das grundverschieden von den Gutsgeschichten sei, die adlige Damen schreiben.
Vom SFB bekam ich die Nachricht, daß am 27. 12. mein«Beethoven»-Hörspiel gesendet wurde, und es kam auch gleich das Geld dafür. Jetzt nehmen sie das als Sylvesterscherz, und dabei war es mir verdammt ernst damit - sonst wäre es nicht so lustig geworden.
Nartum
Mi 18. Januar 1989
Bild: Um Mitternacht in Neukölln/Promille-Fahrt: Im Auto saß ein Wildschwein
ND: Besuch von Ingvar Carlsson/Meilenstein in den Beziehungen Schweden - DDR
Harry Graf Kessler im Januar 1919 zum Tod von Liebknecht/ Luxemburg:
Sie haben durch den Bürgerkrieg, den sie angezettelt haben, so viele Leben auf dem Gewissen, daß an sich ihr gewaltsames Ende sozusagen logisch erscheint.
Gibt es in Berlin ein Denkmal für die bürgerlichen Opfer
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