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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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des Spartakusaufstandes? Nein, Gott sei Dank nicht. Es kann nicht zu einem Anlatschziel verordnet werden.
    Post: Ein Mädchen fragt an, ob sie in dem geplanten«Hundstage»-Film mitspielen darf? Wenn nicht, dann wünscht sie mir drei große Busse mit Senioren in mein Arbeitszimmer. Sie verbleibt mit freundlichen Grüßen …
    Ein Herr aus Norderstedt schreibt, daß er in den letzten 13 Jahren rund 2500 Briefe an Politiker, Kirchenführer, Schriftsteller, Maler usw. geschrieben hat.«Zwischen 80 und 85% wurden die Briefe beantwortet.»Der Inhalt der Briefe gäbe einen Einblick in das Denken eines Staatsbürgers; ob mich das interessiere?
    Ein anderer schreibt, ich solle wenigstens die Briefe unterfertigen, das sei doch wohl das mindeste? (Er meint, ich soll die von Simone geschriebenen gegenzeichnen.) Wahrscheinlich ein verkappter Autographen-Sammler. Ob er auf seine Beschwerde hin eine unterfertigte Antwort will?
    Eine Dame aus Bremen:«Leider mußte ich dazulernen, daß ein Schriftsteller nicht etwa eine Lesung macht, um Käufer für sein neues Buch ranzuholen, sondern erstmal, um kräftig abzusahnen. DM 6.- Eintritt, tth, tth, tth, Herr Kempowski! Ich war mächtig verstimmt, kaufte Ihr Buch nicht, sondern borgte es mir in der Stadtbibliothek, Strafe muß sein.»
    Es war heute kalt, aber auch sehr schön. Da kein Wind wehte, konnten wir unser wunderbares Haus genießen. Gelbrote Wolken auf lasiertem Türkis. Das gab’s heute abend kostenlos zu sehen. Ich studierte beim Rasieren meine Falten im Gesicht. Krähenfüße nahm man früher als Beweis für unmoralischen, liederlichen Lebenswandel.

    Es ist natürlich verkehrt und unverantwortlich, daß ich mich um meine Freunde nicht kümmere. Außerdem müßte ich allerhand nützliche Kontakte pflegen. Vielleicht sollte ich mir eine Liste anlegen von Leuten, die sich irgendwann einmal wohlwollend über meine Arbeiten geäußert haben. Man könnte ihnen regelmäßig schreiben und sie bei Lesereisen besuchen. Im Augenblick habe ich wegen meiner vielen Aktivitäten keine Zeit dazu. Ich möchte es tun, und wenn ich mich daran erinnere, sind zwei Jahre vergangen.
    Seine Freunde pflegen wie einen guten Wein?

Nartum
Do 19. Januar 1989
    Bild: Robert Lemke: 3 Geheimnisse am Sarg enthüllt/Er hatte 200 Thai-Mädchen/Berliner Bordell-König verhaftet
    ND: Wachsende Leistungskraft der DDR-Volkswirtschaft
     
    Die Werknotizen von Doderer sind ziemlich uninteressant. So etwas sollte man sich notieren, aber doch nicht veröffentlichen. Im übrigen sollte man zukünftigen Doktoranden die Arbeit nicht zu leicht machen.
    Hildegard hat über ihrer Nase die sogenannte«Kämpferfalte»entdeckt, sie freut sich, daß ich sie nicht habe. Ich habe dafür die Laokoonbraue und viele Falten der Sorge vorzuweisen.
    «Na, was macht deine Kämpferfalte?»
    Sie will jetzt das Haar lang tragen.

Nartum
Fr 20. Januar 1989
    Bild: Honecker: Mauer bleibt noch 100 Jahre
    ND: Erich Honecker: DDR leistet konstruktiven Beitrag für den Frieden/Tagung des Thomas-Müntzer-Komitees in Berlin

     
    T: Frühmorgens am Bahnhof. Wir wollen ins Land Hadeln fahren. Man weigert sich aus Datenschutzgründen, uns die Abfahrtszeit des Zuges zu nennen. - Da kommt er schon, alle steigen ein. Hildegard läßt die Fahrscheine lochen, sie sind aus grauem Klopapier.
     
    1999: Ich kaufte ein Buch von Graham Greene über seine Träume, das sich lesen läßt. Auch er hatte Begegnungen mit vielen berühmten Persönlichkeiten. Von mir haben sie sich (in den Träumen) gänzlich zurückgezogen.
     
    Post: Melanie schreibt, daß sie mich im TV gesehen hat, bei Fuchsberger. Sie freue sich immer, mich im Fernsehen zu sehen,«weil ich mir dann vorstellen muß, wie Du Dich vorher dreimal kämmst und überlegst, ob das Hemd auch zur Hose paßt …»
    1999: Nach mir war in der Fuchsberger-Sendung Iris Berben dran. Ich traf sie in der Garderobe und ärgere mich noch heute, daß ich sie nicht um ein Autogramm bat. Ich hatte das Buch bei mir!
     
    TV: Chabrol-Film«Der Schlachter», das Blut tropft.
    Wieso können die Deutschen solche Filme nicht machen? Bei uns ist alles Wuppertal, höchstens mal St. Pauli.
    Und dann enthalten deutsche Filme immer saure Grütze, irgendwie Zeitkritik. Drehbücher werden mit Zeitungsartikeln durchschossen (aus immer denselben Zeitungen).
    Schulszenen sind immer wunderlich, auch in französischen Filmen. Ich frage mich, in was für Schulen sind die Regisseure gegangen? Am verrücktesten die Schulszenen in Amerika.

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