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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wieder, andere bewohnen es inzwischen, und ich bin neugierig, wie sie es eingerichtet haben. Alt und grau bin ich, niemand kennt mich («Früher soll hier ein Schriftsteller gewohnt haben!»), und der Garten ist riesig gewachsen.
    So spinne ich mir die Geschichte zurecht, und es ist eine traurige Ufa- oder Hollywood-Geschichte.
    Nacht: Orkan tobt ums Haus. Da kann einem angst und bange werden. Der Munterhund reagiert nicht darauf, der spricht nur auf Vollmond an. Da klagt er über verlorene Schöne.

    Schluß! Abdämmern! Auf dem Rücken liegen mit gefalteten Händen auf der Brust.
    Das Abkippen ins hiesige Jenseits.

Nartum
Di 24. Januar 1989
    Bild: 140 Ärzte zur Abtreibung: Wir machen weiter!/Honecker: 10 000 Soldaten weniger
    ND: Fruchtbare Beratung Erich Honeckers mit Ingvar Carlsson in Berlin
     
    Die sogenannte«Springer-Presse»will die Gänsefüßchen, mit denen sie die DDR immer versah, fallen lassen. Find’ ich falsch. Instinktlos. Wie anders und knapper könnte man den Verein da drüben kennzeichnen als durch Gänsefüßchen?
    Dorfroman: Mit dem aufkommenden Frühjahr werden die Hühner unternehmungslustig. Man sieht sie in windgeschützten Winkeln, in die die Sonne fällt, ihr Gefieder durch den Schnabel ziehen. Schön-Rotraud, oder wie sie heißt, pickte gegen mein Galeriefenster.
    Vormittags schmiß ich leider ein Glas Milch um. Sowas ist entscheidend für den ganzen Tag. Das gibt die Tonart an.
    Hildegard attestierte mir heute neben dem Groß- auch einen«Kleinfleiß». Immerzu hier und da. In der Verlobungszeit verglich sie mich aus dem gleichen Grund mit einem«Eichhörnchen». Pinkeln und gleichzeitig Zähne putzen.
    Die Wahrheit ist, daß ich nicht weiß, wie man das macht: Nichtstun. Es ärgert mich, wenn man mich einen Workaholic nennt. Sind es die Wartejahre? Ich spüre, daß ich ein bestimmtes Pensum abarbeiten muß, sonst werde ich nicht«erlöst». Und da es nicht gerade karg bemessen ist, muß ich mich sputen. Irgendwann lege ich die Hände in den Schoß.«Er ist ausgebrannt», werden sie dann sagen.
    Heute acht Stunden am Computer gesessen und die Waben des«Echolot»gefüllt. Ich sehe die Welt mit den Facettenaugen einer
Fliege. Die Konvolute werden in kleine Portionen geteilt und verteilt. Manche Einsendungen liegen schon seit 1980 hier. Die Langmut der Einsender. - Die Geduld dessen, der nur scheinbar ins Rasen gerät. Stetig sein, nicht hetzen.
    Pro Tag gibt es dann eben doch Momente, in denen ich döse, sehe aus dem Fenster oder vor mich hin. Heute:«Frenzy»von Hitchcock. Die Frau des Inspektors mit ihren französischen Kochkünsten. - Ich habe den Film bestimmt schon zehnmal gesehen, neben«Schatten des Zweifels»(schlechter Titel!) der beste Hitchcock.«Psycho»mag ich nicht. Die vertrocknete Frau - so was ist nicht mein Fall.
    Wie kommt es, daß man manche Filme mehrmals sehen kann? An der Qualität kann es nicht liegen, denn andere gute Filme sieht man einmal und nie wieder.
    Bei Fechners«Tadellöser»-Filmen ist es die Detail-Fülle, die ein mehrmaliges Sehen möglich macht. Jedesmal entdeckt man wieder was Neues. Bis es einen dann schließlich ganz unvermittelt ankotzt.

Nartum
Mi 25. Januar 1989
    Bild: Letzte Wahlumfrage - Diepgen: Das wird sehr eng/CDU FDP 48%, SPD AL 47%/Heute nacht live: Steffi-Sabatini
    ND: Neue Abrüstungsinitiative der DDR findet weltweit starke Beachtung
     
    Heute saß ich wieder lange vorm Computer und gab Texte ein, das BDM-Mädchen in Ellwangen, eine hübsche Sache, Jahrgang 1929; was sie über ihre Freunde denkt:«G. ist der Richtige, vielleicht werden wir ein Paar?»schreibt sie, H. sei nur was für den Augenblick.
     
    1999: Im November starb sie. Sie wurde in Berlin beerdigt, am selben Tag und zur selben Stunde lief unsere«Echolot»-Lesung in der Matthäuskirche, worin auch sie zu Wort kam.

    Vom Arbeiten am Computer flimmern mir die Augen. Ich stelle mir geschabte Mohrrüben vor, wenn ich an meine Sehnerven denke. - Ich bin mir selbst peinlich, manchmal.
    Heute abend lief ich eine Weile auf und ab und rieb mir lachend die Hände. Es war dunkel, nur eine kleine Lampe brannte, und da sah ich mich plötzlich in den großen Spiegeln, wie ich da auf und ab laufe, und da dachte ich: Was machst du für ein blödes Gesicht. Man stelle sich vor, jemand hätte mich vom Feld aus beobachtet bei dieser Tätigkeit! Schnell die Vorhänge zu!
    Tennisduell Steffi - Sabatini: Wie die Sympathie von einer zur andern springt! Zu Steffi assoziiere ich ein

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