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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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aber doch am Computer wieder.
    Eine Dame aus Düsseldorf bittet um ein Autogramm. Eine Journalistin habe ihr allerdings gesagt, ich täte nichts ohne Geld. Ein Mann mit Mütze kam, er wolle mal den Turm von innen sehen. Ich ließ ihn hineinsehen und stand wie ein Kastellan daneben.
    «Sirius»: Ich nehme meine Biographie vorweg. Verschieße also Pulver.- Für die Dissertation eines anderen arbeiten, der nichts versteht. Überhaupt: Dissertationen! - Keine heimlichen Laster? Immer aufs Normale ausgerichtet? - Ein Biograph wird’s schwer haben.

Nartum
Do 10. August 1989
    Bild: Berliner, nehmt Übersiedler auf/Dringender Appell von Senatorin Stahmer/Alle 240 Heime voll/Niki Laudas Frau liebt den Nachbarn
    ND: Produktive Technik wird rund um die Uhr genutzt
     
    Es rief um 8 Uhr ein Mann an, ob er mich mal sprechen könnte? Hildegard:«Mein Mann liegt noch im Bett.»
    Er:« Das ist Deutschland …»
    Abends ein Himmels-Schauspiel in Orange.
    Wir flüchteten mit dem Munterhund vor einem Mann mit großem Hund in den Garten, er rief über das Hundegebelle hinweg: Danke! - Wahrscheinlich wäre gar nichts passiert, aber man kann ja nie wissen. So ein Zaun ist ein Segen!
    Tag des Laurentius , Diakon, Märtyrer:
    Er war Erzdiakon des Papstes Sixtus II., wurde der Überlieferung nach am 10. August 258 zusammen mit vier Gefährten getötet, nach einer bereits im 4. Jahrhundert bekannten Legende auf einem
Rost zu Tode geröstet. Nach dem Sieg über die Ungarn auf dem Lechfeld am 10. August 955 erfuhr sein Kult in Deutschland einen bedeutenden Aufschwung.

Nartum
Fr 11. August 1989
    Bild: Halstuch-Mord / Millionenerbe tot im Koffer
    ND: Korn von drei Vierteln der Anbaufläche eingebracht
     
    Mutters Geburtstag. 93 J. - Als ich mit ihr an der Weser saß, Touristen drumherum, schaler Kaffee und Wespen auf dem Kuchen. Lippoldsburg. Überhaupt. Und die Versäumnisse. Wenn ich allein bin und vor mich hindöse, denke ich an all das, was ich falsch gemacht habe. Daß sich da nicht die Haare sträuben. Aber man döst eben doch vor sich hin.
    Hildegard hatte heute Kaktus-Anstaun-Damen eingeladen. Die geilen Blüten des Monstrums im Innenhof wurden fotografiert. Sie sagt, sie kann nicht mehr auf einem Bein stehen, ob das was zu bedeuten hat? - Ich kann das nicht beurteilen.
    Die Steuerberaterin fragt an, ob ich denn noch immer so viele Bücher brauche?
    Gestern mit Renate nach Hamburg, wir machten Farbkopien. Der junge Mann kam mit dem Kopierer nicht klar, es dauerte endlos. Wir gaben ihm die verschiedensten Ratschläge, ohne auch nur die geringste Ahnung von dem Apparat zu haben. Dann im Möwenpick gegessen und zu Robert gefahren, wo ich ein Nickerchen machte. Anschließend zur Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft, wo wir die Verträge für Renates Wohnung unterzeichneten. 80 andere Anwärter hatten sich gemeldet. Die Bürodame hatte den«Herrn Böckelmann»auf dem Tisch liegen. Vielleicht gab der den Ausschlag?
    Am Abend kam Simone. Wir beschäftigten uns mit dem«Sirius», sahen eine Sendung über DDR-Flüchtlinge: meist junge Burschen, flotte Typen; um deren Fortkommen muß einem nicht bange
sein. Was für ein Unterschied zu den Ostpreußentrecks 1945! - Den Leuten hier kommt das Sächsisch komisch vor, ungewohnt. Ich hör’ es gerne. Die lieben, freundlichen Sachsen.
    Hamburg: Selten sieht man auf der Straße jemanden, der weint, oder Menschen, die sich streiten. Lustig, wenn einer«auf dem Hacken kehrtmacht». Hat irgendwo was vergessen, muß umkehren. - In Orléans sah ich ein Mädchen mitten auf der stark befahrenen Straße stehen und irgendwelche Klagerufe ausstoßen. Die Autos fuhren einen Zahn langsamer an ihr vorüber, wollten wohl sehen, was das für ein komischer Vogel ist. Ein jüngerer Mann hielt an, holte sich das Fräulein in den Wagen. Vermutete wohl leichte Beute.

Nartum
Sa 12. August 1989
    Bild: Ungarischer Offizier: Ich lasse alle Deutschen raus
    ND: Schweriner Industriebauer erreichten Montagevorlauf
     
    Kalt, Regen. Kalte Sommer sind eine Zugabe. Warme Winter sind unerträglich.
    Angstzustände wechseln mit Ekel ab. Was beunruhigt mich? Der Schwebezustand, die Sache mit den Archiven, Angst, was falsch zu machen. Geld-Sachen, zuviel ausgegeben. Das Kurshalten kostet auch viel Kraft.
    Ich fuhr mit Simone zum Schleswig-Holstein-Festival, ein sogenannter«Auftrieb», eine Riesen-Familiensache mit Kindern auf dem Herrenschloßrasen. Mürrische Einheimische, die dem Ab- und Aufgewoge hämisch zusahen. In einer

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